Freitag, 8. Dezember 2006

Macht hoch die Tür, die Tor' macht weit...

Es ist wahr, tatächlich sitze ich hin und wieder, den Kopf tief geneigt und die Hand die verzweifelten Stirnfalten durchwalkend am offenen Fenster und denke nach, wie es auf meinem Profilbild zu sehen ist. Gerade in besinnlicher Adventzeit ist die Neigung dazu groß. Und so dachte ich über die Ambivalenz eben dieser Zeit nach. Der Advent - eine Zeit die scheinbar zugleich Buß- und Freudenzeit ist. Betrachten wir kurz also die ein Seite, die Freudenzeit. Nicht nur unter Christen, besonders aber meist unter diesen außerordentlich frommen scheint jener Aspekt völlig vergessen. Sicher war der Advent in der Alten Kirche auch eine Buß- und Fastenzeit, was aber vorallem auf die Auslegung des Weihnachtsfestes als endzeitliche Wiederkunft des Herrn zurückgeht. Zuerst ist der Advent aber eben adventus, also Ankunft Gottes unter den Menschen und damit zuerst Anlass für ausgiebige Freude. Wir sollten unseren Geist erheben und jubelnd dem kommenden Christus entgegengehen! "Denn ich sage euch viele Propheten und Gerechte haben sich danach gesehnt, zu sehen was ihr seht und haben es nicht gesehen!" (Mt 13,17) Dies ist Anlaß genug, zu erröten wegen der Lauheit und der Härte unseres Herzens, wenn wir nicht in geistlicher Freude den Jahrestag der Geburt Christi erwarten, den wir, so Gott will in den nächsten Tage erleben dürfen. (1) Besonders ist uns sie Freude doch in den O-Antiphonen der letzten Adventwoche überliefert, die stets mit dem Ruf Veni, Komm! enden. Aber natürlich müssen wir uns auch mit der gewissenhaften Vorbereitung auf dieses Kommen auseinandersetzen, die ja nich nur im unbedachten Freudentaumel, ebensowenig wie im zerknirschten Fasten, bestehen kann.

Gerade heute heißt es ja dazu auch im Evangelium "Eine Stimme ruft in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen!" (Mt 3,3). Diese rufende Stimme ist Johannes der Täuder der uns zur Umkehr aufruft, damit wir den Herrn in rechter Weise empfangen. Was heißt denn nun aber Umkehr für uns, die wir doch schon die erlösende Taufe empfangen haben, was heißt es denn für alle jene, die sich stets für gute Christen halten und sich jeder Sünde zu verwehren suchen? Was es für den Sünder und Ungläubigen heißt scheint klar, hier ist es das Schuldbekenntnis, die Buße, ja das rein werden für Christus und letztendlich die Wende des Geistes auf Gott und seine umfassende Liebe hin. Was aber eben für die anderen? Es ist die Erkenntnis, das Öffnen der Augen, gegenüber diesem Ereignis und was es bedeutet. Es ist wie mit dem würdigen Empfang des eucharistischen Brotes. "Der Unwissende nimmt es mehr wie ein tierischer denn als ein geistiger Mensch, weil der Geist nicht davon empfindet und nie empfinden wird. Wenn einem geborenen Blinden ein Brot mit der Aufforderung gereicht würde: Iss dieses Brot und du wirst sehr schön, so würde der Blinde jenen Worten wenig gehör schenken, weil er die Schönheit nicht kennt. Um die Größe des ihm verheißenen Geschenkes einzusehen, müsste man ihm vorher die Augen öffnen." (Nikolaus Cusanus. Bedingungen des würdigen Empfanges des Abendmahls) Erst wenn er also viele Schönheiten gesehen hätte würde er freudig und begierig essen. Ebenso freudig und begirig wollen wir das Kommen des Herrn erwarten.

Doch was bedeutet also dieses Kommen des Herrn nun? Man müsste uns nur ebenso vorher die Augen öffnen. Um die Bedeutung also zumindest teilweise zu verstehen "müssen wir auf die Person schauen, durch die das Kommen des Herrn Wirklichkeit worden ist: Maria. Maria gehörte jenem Teil des Volkes Israel an, das zur Zeit Jesu sehnsüchtig auf das Kommen des Erlösers wartete. Den im Evangelium wiedergegebenen Worten und Gesten können wir entnehmen, wie sie sich in ihrem Leben wirklich in die Worte der Propheten versenkte und das Kommen des Herrn mit ihrem ganzen Sein erwartete. Dennoch konnte sie nicht ahnen, wie dieses Kommen vonstatten gehen sollte. Vielleicht erwartete sie ein Kommen in Herrlichkeit. Um so überraschender war für sie der Moment, als der Erzengel Gabriel in ihr Haus eintrat und ihr sagte, daß der Herr, der Erlöser, in ihr und von ihr Fleisch annehmen und sein Kommen durch sie verwirklichen wollte. Wir können uns die Befangenheit der Jungfrau gut vorstellen. Mit einem großen Akt des Glaubens und des Gehorsams sagt Maria 'Ja': 'Ich bin die Magd des Herrn'. So wurde sie zur 'Wohnstatt' des Herrn, zum wahren 'Tempel' in der Welt und zur 'Tür', durch die der Herr in die Welt eingetreten ist.

Wir haben gesagt, daß dieses Kommen einmalig ist: 'das' Kommen des Herrn. Dennoch gibt es nicht nur das endgültige Kommen am Ende der Zeiten. In einem gewissen Sinne möchte der Herr durch uns Menschen ständig auf die Erde kommen, und er klopft an die Tür unseres Herzens: Bist du bereit, mir dein Fleisch, deine Zeit, dein Leben zu geben? Das ist die Stimme des Herrn, der auch in unsere Zeit eintreten möchte, er möchte durch uns ins Leben der Menschen eintreten. Er sucht auch eine lebendige Wohnung, nämlich unser persönliches Leben. Das ist das Kommen des Herrn, und das wollen wir in der Adventszeit aufs neue lernen: Der Herr möge auch durch [und in] uns kommen." (2) Bereiten wir ihm den Weg.

"Macht hoch die Tür, die Tor' macht weit, Es kommt der Herr der Herrlichkeit!"

Dienstag, 5. Dezember 2006

"...seien sie versichert, daß ich gewis Religion habe" - Zum Ende des Mozartjahres

Um 0:55 am 5. Dezember 1791 stirbt vor 215 Jahren im Pfarrgebiet von St. Stephan Wolfgang Amadeus Mozart. Die "Aussegnung" erfolgte im Stephansdom, danach wurde die sterbliche Hülle des Komponisten auf den St. Marxer Friedhof überführt. Rund um Mozarts Todestag sind zahlreiche Aufführungen seines Requiems zu erleben. So endete die Aufführung im Stephansdom in der Todesminute Mozarts. In der Michaelerkirche, wo am 10. Dezember 1791 das Requiem erstmals erklang, war es heute zur Seelenmesse zu hören, die feierlich von jener aus dem Jahr 1525 stammenden Glocke eingeläutet wurden, die auch am 10. Dezember 1791 erklungen war. Die Glocke wurde vor kurzem restauriert und am 18. November neu geweiht.

Beide "Veranstaltungen" wurden im Rahmen des Projekts „Mozart Sakral", das zum "Mozartjahres 2006" gehört dargebracht. Erstmals ist innerhalb eines Jahres Mozarts gesamtes kirchenmusikalisches Werk gespielt worden, welches in enger Zusammenarbeit mit der Erzdiözese Wien zusammengestellt und organisiert wurde. Der Glaube nahm in Mozarts Leben stets einen wichtigen Stellenwert ein, obwohl er Freimaurer war. „Übrigens seien sie versichert, daß ich gewis Religion habe", schrieb er am 13. Juni 1781 an seinen Vater Leopold. Von Mozarts Gattin Constanze weiß man aus einem erhaltenen Brief, dass sein Lieblingsinstrument die Orgel war. Mozarts Zeitgenossen schätzten ihn vorwiegend als Kirchenmusiker. Auch war „Kirchenmusiker" der Beruf, den Mozart am längsten als seinen angegeben hat. „Komponist" galt in der damaligen Zeit nämlich nicht als Beruf. Und es gibt auch keine musikalische Gattung, für die Mozart mehr komponiert hätte als für die Kirchenmusik.
Von der Motette „God is our refuge" über die großen Messen bis zum Requiem reicht die Spannbreite der Kirchenmusik Mozarts. Insgesamt hält die Mozart-Forschung bei 74 Musikwerken. Neben den Werken Mozarts berücksichtigte die Programmierung auch relevante Werke von Vorbildern und Zeitgenossen Mozarts im Bereich der Kirchenmusik. Neben Antonio Salieri und Joseph Haydn wurde auch an dem heute leider vergessenen Mozart-Vorbild Michael Haydn gedacht.

"Da der Tod (genau zu nemmen) der wahre Endzweck unseres Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren, besten Freund des Menschen so bekannt gemacht, dass sein Bild nicht allein nichts schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel beruhigendes und tröstendes! Und ich danke meinem Gott, dass er mir das Glück gegönnt, mir die Gelegenheit (sie verstehen mich) zu verschaffen, ihn als den Schlüssel zu unserer wahren Glückseligkeit kennen zu lernen. Ich lege mich nie zu Bette, ohne zu bedenken, dass ich vielleicht (so jung als ich bin) den andern Tag nicht mehr seyn werde - und es doch kein Mensch von allen, die mich kennen, sagn können, dass ich im Umgange mürrisch oder traurig wäre. - Und für diese Glückseligkeit danke ich alle Tage meinem Schöpfer und wünsche sie vom Herzen jedem meiner Mitmenschen."
W.A. Mozart in einem Brief an seinen Vater, Wien, 4. April 1787

Montag, 4. Dezember 2006

Von der Vernunft und der Erkenntnis durch Nichtwissen als Friedenstifter

Auch wenn nun allmählich im öffentlichen Bewusstsein anzukommen scheint, was ohnehin von vornherein klar war, Papst Benedikt XVI. aber erst wieder bestätigten musste, nämlich das seine Reise in die Türkei "keine politische sondern eine pastorale Reise" wart, wird die Diskussion um die sog. "Regensburger Rede" und um das Verhältnis von Glaube und Vernunft nicht zu den Akten gelegt. Gerade in den Medien sieht man sich außer Stande diese Reise nicht als unmittelbare Reaktion und Weiterführung dieser Auseinandersetzung wahrzunehmen. Es wird gerade so getan, als sei die Erörterung dieses Verhältnisses ein Neues, erst mit dem, inzwischen zerredeten "Clash of Civilizations" aufgetaucht. Aber dem ist nicht so. Nicht erst seit der Aufklärung, erst recht nicht seit Johannes Pauls II. Enzyklika "Fides et Ratio" und schon gar nicht erst seit der "Regensburger Rede" bilden Glaube und Vernunft eine thematische Einheit. Wenn nun "entdeckt" wird, dass das Christentum eine "Vernunftreligion" ist, wenn nun wiedergefunden wird, das schon für den Gelehrten Jospeh Ratzinger Glaube und Vernunft "von innen her" zusammen gehören, dann sei gesagt, das diese Einheit schon immer zum unmittelbaren Selbstverständnis des Christentums gehört, das sie der Theo-Logie mit Christus, dem LOGOS, zwingend innewohnend und Fundament dessen ist.

Und das diese Thematik von Glaube und Vernunft auch schon immer zutiefst mit dem Frieden zwischen den Religionen zu tun hat, zeigt uns Nicolaus Cusanus (1401-1464), an den an dieser Stelle erinnert sei. Der Kardinal, Jurist, Politiker, Astronom, Philosoph, Theologe - kurz der Universalgelehrte und Heilige des 15. Jahrhunderts schrieb 1453 unter dem Eindruck des Falls von Konstantinopel in seiner beachtlichen und höchst aktuellen Schrift "Über den Frieden oder die Übereinstimmung unter den Religionen" abschließend folgendes: "So wurde denn nun im Himmel der Vernunft die Eintracht der Religionen beschlossen." Cusanus entwarf hier einen fiktiven Dialog der Religionen, in dem Vertreter aus verschiedenen Nationen und Religionen disputieren und feststellen, das jedem Volk von Gott eigene Lehrer und Propheten gesandt wurden und das, vergleiche man alle Religionen "alle Verschiedenheit mehr im Ritus als in der Verehrung des einen Gottes gelegen sei". (Es sei erwähnt, das Nikolaus auch eine "Kritik des Alchoran" [d.i. Koran] schrieb). Durchaus kann man Cusanus hier Häresie vorwerfen, was man auch tat, verkennt dabei aber, dass er sich in der Tiefe seiner Gedanken an die besten Scholastiker des Mittelalters anreiht, sie gar in Hinsicht auf die neuere Philosophie noch übertrifft (und so den Weg für Kants Vernunftkritik bereitet).

Die Vernunft soll selbst ihr eigener Schüler sein. Die Vernunft wird als intellectuale Reflexionsstruktur der bloß empirischen Verstandeserkenntnis entgegengesetzt. Dieser Unterschied zwischen Verstand und Vernunft, zwischen empirischer Rationalität und reflektierter Spekulation findet sich eben schon bei Cusanus als Dialektik angelegt, nämlich dann, wenn die jeweils höhere Stufe des Geistes aus der jeweils niedrigeren Stufe hervorgeht. Cusanus formuliert hier eine "Kritik des reinen Verstandes", die eine "Kritik der reinen Sensualität" ist. Danach ist natürlich klar, dass sich der Wahrheitsanspruch im Vollzug des geistigen Ab- und Aufstieges verändert, da via reflexionis auch die Fragestellungen nicht die gleichen bleiben. Das heißt auf der Ebene der "sensationes" liegen keine Unterschiede vor, alles erscheint gleich war, da sich hier die Frage nach der Wahrheit nicht stellt. Auf der Ebene des Verstandes gelangt man allerdings via negationes zu entweder wahren oder falschen Urteilen und so auch zu einem rationalen Wahrheitsbegriff (in Form logischer Richtigkeit). Die Frage nach dem Wahrheitsmodell stellt sich erst auf der Ebene der Vernunft. Auf dieser Stufe der Reflexion wird die rational konstruierte Unterscheidung aus wahr und falsch hinfällig. Die höchste Stufe ist dann die für den Geist unerreichbare visio dei, da sich hier die Wahrheitsfrage nicht stellt. Diese "präzise Wahrheit bleibt unerfaßbar". Es bleiben Verstand und Vernunft, das eine in der empirischen Wissenschaft, das andere in der Philosophie, von der visio dei zum Transzendenten angeregt. Die Vernunft gelangt schließlich zu einem Wahrheitsbegriff durch "falsche" wenn auch zweckmäßige Urteile. Das Denken stellt für Cusanus ein in sich widersprüchliches Geschehen dar. Indem es belehrt, führt es zur Unwissenheit, aber zur belehrten Unwissenheit der docta ignorantia - zur Wissenschaft des Nichtwissens. Es ergibt sich, "dass die präzise Wahrheit in der Finsternis unseres Nichtwissens in unfassbare Weise leuchtet und das ist die Wissenschaft des Nichtwissens [...], durch die wir allein dem größten, dreieinigen Gott von unendlicher Güte auf den Stufen dieser Wissenschaft uns nahen können, um ihn aus allen Kräften ewig dafür zu loben, dass er selbst sich uns als unbegreiflich zu erkennen gibt." In diesem Sinne ist es jedem vernunftbegabten Menschen die Gotteserkenntnis möglich, ohne konkret fassbar zu sein. Hier liegt die Übereinstimmung in den Religionen und hier liegt auch der Frieden, so erkannte bereits Nikoluas Cusanus vor über 500 Jahren. Bis heute hat er nichts an seiner Aktualität verloren.

(zitiert nach Nicolaus Cusanus: Philosophische und theologische Schriften, 2005)