Im ersten Teil unsere Auseinandersetzung mit einem Beitrag von P. Karl Wallner OCist. zur Eschatologie ging es im wesentlichen um die Teilung der Zeiten bzw. deren Vereinigung in der Mitte, die Christus ist. Mit dem Sohn, durch Jesus ist das Gottesreich eine gegenwärtige Wirklichkeit für uns geworden, die wir in unserem Dasein, das die Möglichkeit einer Existenzform im Sein an sich darstellt, ermöglichen, deren Möglichkeit wir schließlich als Seinsform ergreifen sollen, in dem wir, sterbend und den Tod letztlich überwindent, „Sohn“ werden. Indem wir in dieser Welt „Sohn“ werden, überwinden wir letztlich unser Dasein, da es ein „Sein zum Tode“ ist. Indem wir „Sohn“ werden, uns dem göttlichen Vater hingeben, ihm also ganz vertrauen, beherrschen bzw. werden wir völlig frei von jedem Zweifel, von jeder Angst und darin frei vom Tod, denn das Sein zum Tode ist ja wesenhaft Angst (vgl. Kierkegaard: Die Krankheit zum Tode; Heidegger: Sein und Zeit). Ohne jetzt aber eine heideggersche Eschatologie weiterentwickeln zu wollen, schreiten wir mit den bisher daraus gewonnen Begriffen „Angst“, „Sohn“ und „Vertrauen“, freilich auch mit dem des „Todes“, weiter, zu einem nächsten Punkt in dem wir uns in das „Sohn-werden“ vertiefen wollen, das wir im ersten Teil als einzig möglichen Weg zur Heiligung, also als Weg in das Gottesreich, zu Gott, schlußfolgerten. Es sei nochmals darauf hingewiesen, nicht aus dem Blick zu verlieren, dass, wenn von Heiligung gesprochen wird etwas Disseitiges gemeint ist, dass also das „Im-Gottesreich-sein“ unauflöslich an das sein in dieser Welt gebunden ist - „Im-Gottesreich-sein“ heißt göttlich in der Welt sein. Etwas anderes heißt heilig sein ja nicht, als göttlich zu sein, was wir sind, wenn wir seine „Söhne“ werden. Was heißt es aber konkret Sohn zu werden? Und wie kann das möglich sein?
Nun, es heißt zuerst die Sohn-, die Kindschaft gegenüber Gott annehmen zu können, sich dieser bewußt zu werden. Das wir es eigentlich schon längst sind, schreibt uns Paulus, „denn alle, sie sich vom Geist Gottes leiten lassen, sind Söhne Gottes. Denn ihr habt habt nicht einen Geist empfangen, der euch zu Sklaven macht, so dass ihr euch immer noch fürchten müsset, sondern ihr habt den Geist empfangen, der euch zu Söhnen macht, den Geist, in dem wir rufen: Abba, Vater! So bezeugt der Geist selber unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind.“ (Röm 8,14) Kind-sein heißt ausgeliefert zu sein, abhängig von seinen Eltern, will man es negativ formulieren. Aber wir sind eben keine Sklaven, denn es bedeutet auch und vorallem Freiheit und liebendes Vertrauen in die Eltern, beides hängt eng zusammen. Freiheit deshalb, gerade weil ich vertraue – ich vertraue mit kindlicher Naivität darauf, das meine Eltern, das Gott mich immer hält, das er zu mir steht und mich niemals im Stich lässt, mich immer auf dem richtigen Weg führen will. Ich vertraue als Kind darauf, das meine Eltern, das mein Vater, mich nie in die Irre führt. Diese rechte sorglose Einfältigkeit, die alles als gut annimmt, was von den Eltern kommt, zeichnet das Kind-Sein wesentlich aus. Dies ein erster Punkt, auf den wir zurückkommen werden.
Paulus schreibt aber weiter: „Sind wir aber Kinder, dann auch Erben; wir sind Erben Gottes und sind Miterben Christi, wenn wir mit ihm leiden, um mit ihm auch verherrlicht zu werden.“ (Röm 8,17) Hier haben wir einen zweiten Aspekt (der in Wahrheit natürlich derselbe ist und im Grunde nicht vom ersten zu trennen ist, wie wir sehen werden). Denn wie könnten wir die Frage, was es heißt Kind zu sein besser beantworten, als mit einem Blick auf Jesus, dem Sohn Gottes (wobei ich hier nicht den Titel „Sohn Gottes“ meine). Jesus Sohnschaft zeigt sich vorallem in seinen Sohnesgebärden, die alle Evangelien durchziehen und die in einer letzten großen Sohnesgebärde, nämlich im sich vertrauensvollen an Gott hingeben am Kreuz, als Opfer für die Welt, gipfeln. Das Jesus, der Gott ist, sich Gott in Liebe hingibt, und damit gewissermaßen sich selbst gibt, ist ein Geheimniss, dass der heilige Vater „trinitarisches Liebesgeheimnis nennt“. Dieses Geheimnis wollen wir hier nicht versuchen zu lüften, aber stellen daran fest, dass, wenn Jesus als Sohn den Willen Gottes tun, weil er nur gut sein kann, er auch zugleich seinen Willen tut. Dies ist ein Ausdruck tiefsten Vertrauens auf den Willen des Vaters. Unweigerlich erinnert das an Jesu Worte im Garten Getsemani: Nicht mein, sondern Dein Wille geschehe. In der Stunde seiner tiefsten Betrübung vertraut Jesus auf Gott, willig in seinen Willen ein, sein Wille soll geschehen. Und wir erkennen daraus, das Sohn-sein auch Eines-Willens-mit-Gott-sein heißt. Und wenn wir im Vater-unser bitten, „Dein Wille geschehe“, dann bitten wir auch zugleich darum Sohn werden zu dürfen, Sohn sein zu können. Wollen wir resümieren, was nun dieser zweite Punkt sei, der das Kind-, das Sohn-sein auszeichnet, könnte man annehmen, es sei dieses „Einwillig-Sein“ mit dem Vater werden. Tatsächlich ist es aber derselbe Punkt wie der erste, denn beide lassen sich auf einem gemeinsamen Nenner bringen, der schon häufig fiel: Die kindliche Einfältigkeit, die alles als gut annimmt, was vom Vater kommt und dem bedingungslosen Einwilligen in den Willen des Vaters liegt letztlich nur das uneingeschränkte Vertrauen aus Liebe zu Grunde.
Schlägt man in einem Synonymwörterbuch unter Vertrauen nach, stößt man auf das Wort Glaube und Hoffnung. Das ist wahr, denn könnte man denn ohne den Glauben an den Vater, ohne die Hoffnung, dass er uns hält ihm vertrauen oder andersherum gefragt, sind wir zu wenig heilig, zu wenig Kinder Gottes, vertrauen wir ihm zu wenig, weil wir zu wenig hoffen, weil zu wenig glauben? Ja, wir alle glauben zu wenig. Unser Glaube ist nicht einmal so groß wie ein Senfkorn. „Herr, stärke unseren Glauben!“ (vgl. Lk 17,5)
Was kann es nun aber bedeuten, dieses Vertrauen, welche die Sohnschaft auszeichnet? Das Vertrauen gründet zunähst in Liebe und Gebet. Das Gebet deshalb, weil wir eben wissen, dass wir nichts letztlich nur aus uns können, denn es heißt ja „ihr habt den Geist empfangen, der euch zu Söhnen macht“, nicht „ihr habt euch selbst zu Söhnen gemacht“. Nicht aus uns selbst können wir also vertrauen. Darum, dass wir Vertrauen können müssen wir beten, denn dass Vertrauen auf Gott-Vater ist stets eine Frage der Liebe zu ihm. Alles ist endlich eine Frage der Liebe zu Gott! Und wir müssen feststellen, wir alle lieben Gott zu wenig, denn „wahre und vollkommene Liebe erkennt man daran, ob man große Hoffnung und Zuversicht zu Gott hat, denn es gibt nichts, woran man besser erkennen kann, ob man ganze Liebe habe, als Vertrauen. Denn wenn einer den anderen innig und vollkommen liebt, so schafft das Vertrauen, denn alles, worauf man bei Gott zu vertrauen wagt, das findet man wahrhaft in ihm und tausendmal mehr. Und wie ein Mensch Gott nie zu sehr liebhaben kann, so könnte ihm auch nie ein Mensch zuviel vertrauen.“ (Reden der Unterweisung, 14) Das wir Gott also vertrauen können, müssen wir ihn lieben. Darum wollen wir bestädnig beten, das wir Gott “lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. [Denn] dies ist das höchste und größte Gebot.“ (vgl. Matthäus 22,37; Dtn 6,5). Und wenn wir darum beten, dann beten wir zugleich auch immer um den Geist Gottes, denn er ist es, der uns mit Liebe erfüllen kann. „Veni Sancte Spiritus...est tui amoris in eis ignem accende.“ - Komm, Heilige Geist...und entzünde in ihnen das Feuer deiner Liebe.
Und das Sohn-sein ist folglich so keine Frage des äußeren Handelns und Tuns, sondern, wie es die Formulierung schon nahe legt, eine des Seins. Jede Frage des Seins ist aber eine Frage des Seins zu Gott im Leben. Ihn lieben, natürlich – ihm vertrauen, zweifellos; das sind Formen dieses Seins, sie scheinen uns aber doch oft allzu metaphysisch und wenig praktisch. Nun, es heißt, um es mit Meister Eckehart zu sagen, sich zu lassen, sich von sich selbst ganz leer machen, damit Gott, damit sein Geist in uns fahren kann. „Soweit du ausgehst aus allen Dingen, so weit, nicht weniger und nicht mehr, geht Gott ein mit all dem Seinen“ (RdU, 4). „Die Leute brauchten nicht soviel nachdenken, was sie tun sollten, sie sollten vielmehr bedenken, was sie wären. Wären nun aber die Leute gut und ihre Weise, so könnten ihre Werke hell leuchten. Bist du gerecht, so sind auch deine Werke gerecht. Nicht gedenke man Heiligkeit zu gründen auf ein Tun, man soll Heiligkeit vielmehr gründen auf ein Sein, denn die Werke heiligen nicht uns, sondern wir sollen die Werke heiligen – es sei Essen, Schlafen, Wachen oder was immer es sei.“ Dieses heiligen der alltäglichen Werke ist ein Motiv der Heiligkeit, das nicht nur Meister Eckehart kennt, sondern, dass wir durchgehend bei den Heiligen finden, von Franziskus, über Therese von Liseux bis zu Josemaria Escriva. Das heiligen der Werke heißt aber nicht, dass der Mensch, in allem was er tut, beständig an Gott denkt, das wäre wohl unmöglich und zudem soll der Mensch sich nicht mit einem gedachten Gott zufrieden geben, der wieder vergeht, wenn er nicht an ihn denkt, sondern vielmehr soll man einen wesenhaften Gott haben. Man soll Gott im Sein haben, so dass Gott einem in allen Dingen leuchtet und Gott allzeit gegenwärtig spührt. Dieses „Gott im Sein haben“ haben wir oben Sohn-sein genannt. Das Sohn-sein kann man wohl einüben, aber letztlich, da es ja auf der Liebe gründet, nur ebetet werden, in dem wir eben den heiligen Geist Gottes erbeten, der uns zum wahrhaften Lieben erwachen läßt.
Exkurs zu Pfingsten:
Dass der Heilige Geist aber schon in uns wohnt, ist ebenso wahr wie die Fleischwerdung Christi. Warum sind wir dann aber noch keine Heiligen, warum haben wir noch nicht „Gott im Sein“? Weil wir zum Heiligen Geist (der Liebe) wiederrum nur durch die Liebe gelangen. Der Trost des heiligen Geistes besteht nämlich darin, dass Er uns unablässig und immer von neuem die Kraft verleiht zu lieben. Lieben müssen wir aber selbst. Denn sein Werk besteht nicht darin, diesen oder jenen zu erleuchten, sondern darin, den Leib Christi zu beleben und aufzubauen. Daher sind die Bedingungen für die Gabe und das Wirken des Heiligen Geistes wesentlich gemeinschaftsbestimmt. Er wirkt in der gegenseitigen Liebe der Gläubigen als Geist der Liebe und der brüderlichen Eintracht. Der Heilige Geist wendet schließlich „nur“ den Vater dem Sohn und den Sohn dem Vater zu (so wie auch uns einander).
Pfingsten hat geoffenbart, dass Gott nicht für dreiunddreißig Jahre, sondern für immer Fleisch geworden ist. Dass Er das, was Sein Leben ausmacht (das heißt, Seinen Geist der Liebe), für immer mit uns teilt. Pfingsten – das ist der Auftakt zur unwiderruflichen, immerwährenden Gegenwart Christi hier in der Welt. Pfingsten scheint so ein gewaltigeres Ereignis als Weihnachten, denn in der Fleischwerdung – da wird Gott zum Menschen, Gott wird ein Mensch, zu Pfingsten aber werden die Menschen aufgerufen, „Gott zu werden“. Gott hat sich nicht nur zu uns herabgeneigt, sondern Er will uns auch zu Sich heranziehen – er will uns zu „Söhnen Gottes“ machen. Die Offenbarung des Geistes ist viel großartiger, auffallender als die des Sohnes. Die Fleischwerdung des Sohnes geschah im Dunkeln, in der Nacht, in einem Stalle. Pfingsten aber platze wie eine Bombe in den helllichten Tag hinein, und Hunderte Menschen waren Zeugen dieser Verwandlung. Hier war nicht mehr Gott, der in Not und Leid zum Menschen wurde, sondern eine ganze Schar Männer, die im gleißenden Licht und voll Entzücken „Gott“ wurden. „Ihr werdet größere Dinge tun als Ich“: Jesus denkt an die Kirche, wenn Er dies weissagt. Das ureigenste Werk des Geistes ist die Kirche. „Wenn du die Gabe Gottes kenntest!“ Diese Gabe ist die Kirche. Altissimi donum Dei – Beistand, den der Vater schenkt. Gott für den Menschen im Menschen. Mit dem Menschen verbunden. Was ist das Beste, das Gott besitzt? Sein Geist der Liebe. Er gesellt Ihn uns bei. Er lässt uns an Ihm teilhaben. Und durch den Zusammenschluss jener, die Ihn empfangen haben, entsteht und wächst die Kirche. Wenn Jesus uns sagt, dass Er uns Seinen Geist der Liebe senden wird, dann zieht Er sich nicht zurück, sondern verspricht uns den, der uns am engsten mit Ihm verbindet.
Und wenn wir durch den Heiligen Geist (der Liebe) „Gott im Sein“ schon grundgelegt haben, also „Söhne Gottes“ sind, sollen wir letztlich der Sohn selbst werden. Nämlich indem wir Söhne, Kinder sind die durch den Geist der Liebe nicht nur die Kraft zum Lieben erhalten haben, sondern die auch selbst ihren Vater lieben und vertrauen wollen.
Fortsetzung folgt...
In der Fortsetzung befasse ich mich dann wieder mit einem konkreten Punkt aus dem Artikel von Pater Karl Wallner OCist., anhand dessen ich versuchen will näher auf das Vertrauen und dessen Erscheinungsbild in Zusammenhang mit der Heiligkeit einzugehen.