Montag, 4. Dezember 2006

Von der Vernunft und der Erkenntnis durch Nichtwissen als Friedenstifter

Auch wenn nun allmählich im öffentlichen Bewusstsein anzukommen scheint, was ohnehin von vornherein klar war, Papst Benedikt XVI. aber erst wieder bestätigten musste, nämlich das seine Reise in die Türkei "keine politische sondern eine pastorale Reise" wart, wird die Diskussion um die sog. "Regensburger Rede" und um das Verhältnis von Glaube und Vernunft nicht zu den Akten gelegt. Gerade in den Medien sieht man sich außer Stande diese Reise nicht als unmittelbare Reaktion und Weiterführung dieser Auseinandersetzung wahrzunehmen. Es wird gerade so getan, als sei die Erörterung dieses Verhältnisses ein Neues, erst mit dem, inzwischen zerredeten "Clash of Civilizations" aufgetaucht. Aber dem ist nicht so. Nicht erst seit der Aufklärung, erst recht nicht seit Johannes Pauls II. Enzyklika "Fides et Ratio" und schon gar nicht erst seit der "Regensburger Rede" bilden Glaube und Vernunft eine thematische Einheit. Wenn nun "entdeckt" wird, dass das Christentum eine "Vernunftreligion" ist, wenn nun wiedergefunden wird, das schon für den Gelehrten Jospeh Ratzinger Glaube und Vernunft "von innen her" zusammen gehören, dann sei gesagt, das diese Einheit schon immer zum unmittelbaren Selbstverständnis des Christentums gehört, das sie der Theo-Logie mit Christus, dem LOGOS, zwingend innewohnend und Fundament dessen ist.

Und das diese Thematik von Glaube und Vernunft auch schon immer zutiefst mit dem Frieden zwischen den Religionen zu tun hat, zeigt uns Nicolaus Cusanus (1401-1464), an den an dieser Stelle erinnert sei. Der Kardinal, Jurist, Politiker, Astronom, Philosoph, Theologe - kurz der Universalgelehrte und Heilige des 15. Jahrhunderts schrieb 1453 unter dem Eindruck des Falls von Konstantinopel in seiner beachtlichen und höchst aktuellen Schrift "Über den Frieden oder die Übereinstimmung unter den Religionen" abschließend folgendes: "So wurde denn nun im Himmel der Vernunft die Eintracht der Religionen beschlossen." Cusanus entwarf hier einen fiktiven Dialog der Religionen, in dem Vertreter aus verschiedenen Nationen und Religionen disputieren und feststellen, das jedem Volk von Gott eigene Lehrer und Propheten gesandt wurden und das, vergleiche man alle Religionen "alle Verschiedenheit mehr im Ritus als in der Verehrung des einen Gottes gelegen sei". (Es sei erwähnt, das Nikolaus auch eine "Kritik des Alchoran" [d.i. Koran] schrieb). Durchaus kann man Cusanus hier Häresie vorwerfen, was man auch tat, verkennt dabei aber, dass er sich in der Tiefe seiner Gedanken an die besten Scholastiker des Mittelalters anreiht, sie gar in Hinsicht auf die neuere Philosophie noch übertrifft (und so den Weg für Kants Vernunftkritik bereitet).

Die Vernunft soll selbst ihr eigener Schüler sein. Die Vernunft wird als intellectuale Reflexionsstruktur der bloß empirischen Verstandeserkenntnis entgegengesetzt. Dieser Unterschied zwischen Verstand und Vernunft, zwischen empirischer Rationalität und reflektierter Spekulation findet sich eben schon bei Cusanus als Dialektik angelegt, nämlich dann, wenn die jeweils höhere Stufe des Geistes aus der jeweils niedrigeren Stufe hervorgeht. Cusanus formuliert hier eine "Kritik des reinen Verstandes", die eine "Kritik der reinen Sensualität" ist. Danach ist natürlich klar, dass sich der Wahrheitsanspruch im Vollzug des geistigen Ab- und Aufstieges verändert, da via reflexionis auch die Fragestellungen nicht die gleichen bleiben. Das heißt auf der Ebene der "sensationes" liegen keine Unterschiede vor, alles erscheint gleich war, da sich hier die Frage nach der Wahrheit nicht stellt. Auf der Ebene des Verstandes gelangt man allerdings via negationes zu entweder wahren oder falschen Urteilen und so auch zu einem rationalen Wahrheitsbegriff (in Form logischer Richtigkeit). Die Frage nach dem Wahrheitsmodell stellt sich erst auf der Ebene der Vernunft. Auf dieser Stufe der Reflexion wird die rational konstruierte Unterscheidung aus wahr und falsch hinfällig. Die höchste Stufe ist dann die für den Geist unerreichbare visio dei, da sich hier die Wahrheitsfrage nicht stellt. Diese "präzise Wahrheit bleibt unerfaßbar". Es bleiben Verstand und Vernunft, das eine in der empirischen Wissenschaft, das andere in der Philosophie, von der visio dei zum Transzendenten angeregt. Die Vernunft gelangt schließlich zu einem Wahrheitsbegriff durch "falsche" wenn auch zweckmäßige Urteile. Das Denken stellt für Cusanus ein in sich widersprüchliches Geschehen dar. Indem es belehrt, führt es zur Unwissenheit, aber zur belehrten Unwissenheit der docta ignorantia - zur Wissenschaft des Nichtwissens. Es ergibt sich, "dass die präzise Wahrheit in der Finsternis unseres Nichtwissens in unfassbare Weise leuchtet und das ist die Wissenschaft des Nichtwissens [...], durch die wir allein dem größten, dreieinigen Gott von unendlicher Güte auf den Stufen dieser Wissenschaft uns nahen können, um ihn aus allen Kräften ewig dafür zu loben, dass er selbst sich uns als unbegreiflich zu erkennen gibt." In diesem Sinne ist es jedem vernunftbegabten Menschen die Gotteserkenntnis möglich, ohne konkret fassbar zu sein. Hier liegt die Übereinstimmung in den Religionen und hier liegt auch der Frieden, so erkannte bereits Nikoluas Cusanus vor über 500 Jahren. Bis heute hat er nichts an seiner Aktualität verloren.

(zitiert nach Nicolaus Cusanus: Philosophische und theologische Schriften, 2005)

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…
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Anonym hat gesagt…
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Anonym hat gesagt…
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Helmut Hansen hat gesagt…

Lieber Johannes, ich habe Deinen Blogbeitrag mit Interesse gelesen, insbesondere Deine kleine "Verteidigungsrede" der Cusanischen Lehre.
Tatsächlich birgt diese Lehre einen theologisch höchst explosiven Inhalt: Sie ist, wie ich überzeugt bin, Grundlage eines modernen, naturwissenschaftlichen Gottesbeweises.
Falls Dich derlei Gedanken interessieren, möchte ich Dich auf einen Aufsatz aufmerksam machen, der ein einfaches und kompaktes Bild von diesem Beweis liefert.
http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_2386/

Ad gloriam Dei
Helmut