Freitag, 8. Dezember 2006

Macht hoch die Tür, die Tor' macht weit...

Es ist wahr, tatächlich sitze ich hin und wieder, den Kopf tief geneigt und die Hand die verzweifelten Stirnfalten durchwalkend am offenen Fenster und denke nach, wie es auf meinem Profilbild zu sehen ist. Gerade in besinnlicher Adventzeit ist die Neigung dazu groß. Und so dachte ich über die Ambivalenz eben dieser Zeit nach. Der Advent - eine Zeit die scheinbar zugleich Buß- und Freudenzeit ist. Betrachten wir kurz also die ein Seite, die Freudenzeit. Nicht nur unter Christen, besonders aber meist unter diesen außerordentlich frommen scheint jener Aspekt völlig vergessen. Sicher war der Advent in der Alten Kirche auch eine Buß- und Fastenzeit, was aber vorallem auf die Auslegung des Weihnachtsfestes als endzeitliche Wiederkunft des Herrn zurückgeht. Zuerst ist der Advent aber eben adventus, also Ankunft Gottes unter den Menschen und damit zuerst Anlass für ausgiebige Freude. Wir sollten unseren Geist erheben und jubelnd dem kommenden Christus entgegengehen! "Denn ich sage euch viele Propheten und Gerechte haben sich danach gesehnt, zu sehen was ihr seht und haben es nicht gesehen!" (Mt 13,17) Dies ist Anlaß genug, zu erröten wegen der Lauheit und der Härte unseres Herzens, wenn wir nicht in geistlicher Freude den Jahrestag der Geburt Christi erwarten, den wir, so Gott will in den nächsten Tage erleben dürfen. (1) Besonders ist uns sie Freude doch in den O-Antiphonen der letzten Adventwoche überliefert, die stets mit dem Ruf Veni, Komm! enden. Aber natürlich müssen wir uns auch mit der gewissenhaften Vorbereitung auf dieses Kommen auseinandersetzen, die ja nich nur im unbedachten Freudentaumel, ebensowenig wie im zerknirschten Fasten, bestehen kann.

Gerade heute heißt es ja dazu auch im Evangelium "Eine Stimme ruft in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen!" (Mt 3,3). Diese rufende Stimme ist Johannes der Täuder der uns zur Umkehr aufruft, damit wir den Herrn in rechter Weise empfangen. Was heißt denn nun aber Umkehr für uns, die wir doch schon die erlösende Taufe empfangen haben, was heißt es denn für alle jene, die sich stets für gute Christen halten und sich jeder Sünde zu verwehren suchen? Was es für den Sünder und Ungläubigen heißt scheint klar, hier ist es das Schuldbekenntnis, die Buße, ja das rein werden für Christus und letztendlich die Wende des Geistes auf Gott und seine umfassende Liebe hin. Was aber eben für die anderen? Es ist die Erkenntnis, das Öffnen der Augen, gegenüber diesem Ereignis und was es bedeutet. Es ist wie mit dem würdigen Empfang des eucharistischen Brotes. "Der Unwissende nimmt es mehr wie ein tierischer denn als ein geistiger Mensch, weil der Geist nicht davon empfindet und nie empfinden wird. Wenn einem geborenen Blinden ein Brot mit der Aufforderung gereicht würde: Iss dieses Brot und du wirst sehr schön, so würde der Blinde jenen Worten wenig gehör schenken, weil er die Schönheit nicht kennt. Um die Größe des ihm verheißenen Geschenkes einzusehen, müsste man ihm vorher die Augen öffnen." (Nikolaus Cusanus. Bedingungen des würdigen Empfanges des Abendmahls) Erst wenn er also viele Schönheiten gesehen hätte würde er freudig und begierig essen. Ebenso freudig und begirig wollen wir das Kommen des Herrn erwarten.

Doch was bedeutet also dieses Kommen des Herrn nun? Man müsste uns nur ebenso vorher die Augen öffnen. Um die Bedeutung also zumindest teilweise zu verstehen "müssen wir auf die Person schauen, durch die das Kommen des Herrn Wirklichkeit worden ist: Maria. Maria gehörte jenem Teil des Volkes Israel an, das zur Zeit Jesu sehnsüchtig auf das Kommen des Erlösers wartete. Den im Evangelium wiedergegebenen Worten und Gesten können wir entnehmen, wie sie sich in ihrem Leben wirklich in die Worte der Propheten versenkte und das Kommen des Herrn mit ihrem ganzen Sein erwartete. Dennoch konnte sie nicht ahnen, wie dieses Kommen vonstatten gehen sollte. Vielleicht erwartete sie ein Kommen in Herrlichkeit. Um so überraschender war für sie der Moment, als der Erzengel Gabriel in ihr Haus eintrat und ihr sagte, daß der Herr, der Erlöser, in ihr und von ihr Fleisch annehmen und sein Kommen durch sie verwirklichen wollte. Wir können uns die Befangenheit der Jungfrau gut vorstellen. Mit einem großen Akt des Glaubens und des Gehorsams sagt Maria 'Ja': 'Ich bin die Magd des Herrn'. So wurde sie zur 'Wohnstatt' des Herrn, zum wahren 'Tempel' in der Welt und zur 'Tür', durch die der Herr in die Welt eingetreten ist.

Wir haben gesagt, daß dieses Kommen einmalig ist: 'das' Kommen des Herrn. Dennoch gibt es nicht nur das endgültige Kommen am Ende der Zeiten. In einem gewissen Sinne möchte der Herr durch uns Menschen ständig auf die Erde kommen, und er klopft an die Tür unseres Herzens: Bist du bereit, mir dein Fleisch, deine Zeit, dein Leben zu geben? Das ist die Stimme des Herrn, der auch in unsere Zeit eintreten möchte, er möchte durch uns ins Leben der Menschen eintreten. Er sucht auch eine lebendige Wohnung, nämlich unser persönliches Leben. Das ist das Kommen des Herrn, und das wollen wir in der Adventszeit aufs neue lernen: Der Herr möge auch durch [und in] uns kommen." (2) Bereiten wir ihm den Weg.

"Macht hoch die Tür, die Tor' macht weit, Es kommt der Herr der Herrlichkeit!"

Dienstag, 5. Dezember 2006

"...seien sie versichert, daß ich gewis Religion habe" - Zum Ende des Mozartjahres

Um 0:55 am 5. Dezember 1791 stirbt vor 215 Jahren im Pfarrgebiet von St. Stephan Wolfgang Amadeus Mozart. Die "Aussegnung" erfolgte im Stephansdom, danach wurde die sterbliche Hülle des Komponisten auf den St. Marxer Friedhof überführt. Rund um Mozarts Todestag sind zahlreiche Aufführungen seines Requiems zu erleben. So endete die Aufführung im Stephansdom in der Todesminute Mozarts. In der Michaelerkirche, wo am 10. Dezember 1791 das Requiem erstmals erklang, war es heute zur Seelenmesse zu hören, die feierlich von jener aus dem Jahr 1525 stammenden Glocke eingeläutet wurden, die auch am 10. Dezember 1791 erklungen war. Die Glocke wurde vor kurzem restauriert und am 18. November neu geweiht.

Beide "Veranstaltungen" wurden im Rahmen des Projekts „Mozart Sakral", das zum "Mozartjahres 2006" gehört dargebracht. Erstmals ist innerhalb eines Jahres Mozarts gesamtes kirchenmusikalisches Werk gespielt worden, welches in enger Zusammenarbeit mit der Erzdiözese Wien zusammengestellt und organisiert wurde. Der Glaube nahm in Mozarts Leben stets einen wichtigen Stellenwert ein, obwohl er Freimaurer war. „Übrigens seien sie versichert, daß ich gewis Religion habe", schrieb er am 13. Juni 1781 an seinen Vater Leopold. Von Mozarts Gattin Constanze weiß man aus einem erhaltenen Brief, dass sein Lieblingsinstrument die Orgel war. Mozarts Zeitgenossen schätzten ihn vorwiegend als Kirchenmusiker. Auch war „Kirchenmusiker" der Beruf, den Mozart am längsten als seinen angegeben hat. „Komponist" galt in der damaligen Zeit nämlich nicht als Beruf. Und es gibt auch keine musikalische Gattung, für die Mozart mehr komponiert hätte als für die Kirchenmusik.
Von der Motette „God is our refuge" über die großen Messen bis zum Requiem reicht die Spannbreite der Kirchenmusik Mozarts. Insgesamt hält die Mozart-Forschung bei 74 Musikwerken. Neben den Werken Mozarts berücksichtigte die Programmierung auch relevante Werke von Vorbildern und Zeitgenossen Mozarts im Bereich der Kirchenmusik. Neben Antonio Salieri und Joseph Haydn wurde auch an dem heute leider vergessenen Mozart-Vorbild Michael Haydn gedacht.

"Da der Tod (genau zu nemmen) der wahre Endzweck unseres Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren, besten Freund des Menschen so bekannt gemacht, dass sein Bild nicht allein nichts schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel beruhigendes und tröstendes! Und ich danke meinem Gott, dass er mir das Glück gegönnt, mir die Gelegenheit (sie verstehen mich) zu verschaffen, ihn als den Schlüssel zu unserer wahren Glückseligkeit kennen zu lernen. Ich lege mich nie zu Bette, ohne zu bedenken, dass ich vielleicht (so jung als ich bin) den andern Tag nicht mehr seyn werde - und es doch kein Mensch von allen, die mich kennen, sagn können, dass ich im Umgange mürrisch oder traurig wäre. - Und für diese Glückseligkeit danke ich alle Tage meinem Schöpfer und wünsche sie vom Herzen jedem meiner Mitmenschen."
W.A. Mozart in einem Brief an seinen Vater, Wien, 4. April 1787

Montag, 4. Dezember 2006

Von der Vernunft und der Erkenntnis durch Nichtwissen als Friedenstifter

Auch wenn nun allmählich im öffentlichen Bewusstsein anzukommen scheint, was ohnehin von vornherein klar war, Papst Benedikt XVI. aber erst wieder bestätigten musste, nämlich das seine Reise in die Türkei "keine politische sondern eine pastorale Reise" wart, wird die Diskussion um die sog. "Regensburger Rede" und um das Verhältnis von Glaube und Vernunft nicht zu den Akten gelegt. Gerade in den Medien sieht man sich außer Stande diese Reise nicht als unmittelbare Reaktion und Weiterführung dieser Auseinandersetzung wahrzunehmen. Es wird gerade so getan, als sei die Erörterung dieses Verhältnisses ein Neues, erst mit dem, inzwischen zerredeten "Clash of Civilizations" aufgetaucht. Aber dem ist nicht so. Nicht erst seit der Aufklärung, erst recht nicht seit Johannes Pauls II. Enzyklika "Fides et Ratio" und schon gar nicht erst seit der "Regensburger Rede" bilden Glaube und Vernunft eine thematische Einheit. Wenn nun "entdeckt" wird, dass das Christentum eine "Vernunftreligion" ist, wenn nun wiedergefunden wird, das schon für den Gelehrten Jospeh Ratzinger Glaube und Vernunft "von innen her" zusammen gehören, dann sei gesagt, das diese Einheit schon immer zum unmittelbaren Selbstverständnis des Christentums gehört, das sie der Theo-Logie mit Christus, dem LOGOS, zwingend innewohnend und Fundament dessen ist.

Und das diese Thematik von Glaube und Vernunft auch schon immer zutiefst mit dem Frieden zwischen den Religionen zu tun hat, zeigt uns Nicolaus Cusanus (1401-1464), an den an dieser Stelle erinnert sei. Der Kardinal, Jurist, Politiker, Astronom, Philosoph, Theologe - kurz der Universalgelehrte und Heilige des 15. Jahrhunderts schrieb 1453 unter dem Eindruck des Falls von Konstantinopel in seiner beachtlichen und höchst aktuellen Schrift "Über den Frieden oder die Übereinstimmung unter den Religionen" abschließend folgendes: "So wurde denn nun im Himmel der Vernunft die Eintracht der Religionen beschlossen." Cusanus entwarf hier einen fiktiven Dialog der Religionen, in dem Vertreter aus verschiedenen Nationen und Religionen disputieren und feststellen, das jedem Volk von Gott eigene Lehrer und Propheten gesandt wurden und das, vergleiche man alle Religionen "alle Verschiedenheit mehr im Ritus als in der Verehrung des einen Gottes gelegen sei". (Es sei erwähnt, das Nikolaus auch eine "Kritik des Alchoran" [d.i. Koran] schrieb). Durchaus kann man Cusanus hier Häresie vorwerfen, was man auch tat, verkennt dabei aber, dass er sich in der Tiefe seiner Gedanken an die besten Scholastiker des Mittelalters anreiht, sie gar in Hinsicht auf die neuere Philosophie noch übertrifft (und so den Weg für Kants Vernunftkritik bereitet).

Die Vernunft soll selbst ihr eigener Schüler sein. Die Vernunft wird als intellectuale Reflexionsstruktur der bloß empirischen Verstandeserkenntnis entgegengesetzt. Dieser Unterschied zwischen Verstand und Vernunft, zwischen empirischer Rationalität und reflektierter Spekulation findet sich eben schon bei Cusanus als Dialektik angelegt, nämlich dann, wenn die jeweils höhere Stufe des Geistes aus der jeweils niedrigeren Stufe hervorgeht. Cusanus formuliert hier eine "Kritik des reinen Verstandes", die eine "Kritik der reinen Sensualität" ist. Danach ist natürlich klar, dass sich der Wahrheitsanspruch im Vollzug des geistigen Ab- und Aufstieges verändert, da via reflexionis auch die Fragestellungen nicht die gleichen bleiben. Das heißt auf der Ebene der "sensationes" liegen keine Unterschiede vor, alles erscheint gleich war, da sich hier die Frage nach der Wahrheit nicht stellt. Auf der Ebene des Verstandes gelangt man allerdings via negationes zu entweder wahren oder falschen Urteilen und so auch zu einem rationalen Wahrheitsbegriff (in Form logischer Richtigkeit). Die Frage nach dem Wahrheitsmodell stellt sich erst auf der Ebene der Vernunft. Auf dieser Stufe der Reflexion wird die rational konstruierte Unterscheidung aus wahr und falsch hinfällig. Die höchste Stufe ist dann die für den Geist unerreichbare visio dei, da sich hier die Wahrheitsfrage nicht stellt. Diese "präzise Wahrheit bleibt unerfaßbar". Es bleiben Verstand und Vernunft, das eine in der empirischen Wissenschaft, das andere in der Philosophie, von der visio dei zum Transzendenten angeregt. Die Vernunft gelangt schließlich zu einem Wahrheitsbegriff durch "falsche" wenn auch zweckmäßige Urteile. Das Denken stellt für Cusanus ein in sich widersprüchliches Geschehen dar. Indem es belehrt, führt es zur Unwissenheit, aber zur belehrten Unwissenheit der docta ignorantia - zur Wissenschaft des Nichtwissens. Es ergibt sich, "dass die präzise Wahrheit in der Finsternis unseres Nichtwissens in unfassbare Weise leuchtet und das ist die Wissenschaft des Nichtwissens [...], durch die wir allein dem größten, dreieinigen Gott von unendlicher Güte auf den Stufen dieser Wissenschaft uns nahen können, um ihn aus allen Kräften ewig dafür zu loben, dass er selbst sich uns als unbegreiflich zu erkennen gibt." In diesem Sinne ist es jedem vernunftbegabten Menschen die Gotteserkenntnis möglich, ohne konkret fassbar zu sein. Hier liegt die Übereinstimmung in den Religionen und hier liegt auch der Frieden, so erkannte bereits Nikoluas Cusanus vor über 500 Jahren. Bis heute hat er nichts an seiner Aktualität verloren.

(zitiert nach Nicolaus Cusanus: Philosophische und theologische Schriften, 2005)

Freitag, 24. November 2006

Verdichtetes Leben

Die Psalmen sind wie das Leben. Sie führen aus einem Tal der Tränen hin zum universalen Lobpreis Gottes. Und zugleich sind sie eine Schule des Betens. Wie immer sich unser Beten im Leben verändert, immer finden wir uns auf einer Stufen zwischen dem ersten und letzten Psalm wieder, beginnen wir klein nur mit einem Bitten, um Hilfe in Bedrängnis enden wir am Ende eines erfüllten Lebens im jauchzendem Lobpreis.

"Schon oft habe ich gedacht: Wenn ich je ins Gefängnis kommen, wenn ich je Hunger, Schmerz, Folter oder Demütigung erleiden sollte, dann hoffe und bete ich, dass man mir die Psalmen läßt. Die Psalmen werden meinen Geist lebendig halten, die Psalmen werden mir Kraft geben, andere zu trösten, die Psalmen werden sich als die stärkste, ja revolutionäre Waffe gegen die Bedrücker und Peiniger erweisen. Wie glücklich sind jene, die keine Bücher mehr brauchen, sondern die Psalmen im Herzen tragen, wo immer sie gehen und stehen. Vielleicht sollte ich damit anfangen, die Psalmen auswendig zu lernen, damit sie mir niemand mehr wegnehmen kann." (erkannte Henri J.K. Nouwen, als er sich einige Monate in ein Trappistenkloster zurückzog).
Psalmen beten ist ein großes Wunder.

Wer den Psalm zu seinem Gebet macht, hofft auf das Wunder, das der 18. Psalm in einem Bild so wunderschön zusammenfasst: "Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen" (Ps 18,30). Der Gott der Psalmen gibt mir die Kraft Mauern, Ängste, Feindschaften zu überwinden, aber nicht mit Gewalt, mit den Kopf durch die Wand, nein, sondern mit dem Gott der Güte und Gerechtgikeit geschieht mir das Wunder, dass das Böse mich nicht mehr einengen und abschrecken kann. Mit meinem Gott packe ich an, wovor ich, auf mich allein gestellt, zurückweichen würde. Mit Gott gelingt das Wunder des Exodus.
Wer in seinen Ängsten und Nöten nach den Psalmen greift, wird von seiner Einsamkeit, Lebensangst oder Selbstbezogenheit befreit. Nicht nur, weil man sich selbst zurück nimmt, in dem man Gebete rezitiert, die andere vor uns schon gebetet haben, sondern weil man sich so in seinen Dunklen Qualen und Gefahren dem menschenfreundlichen Gott entgegenstreckt.

Wohin soll ich mich wenden?

Wie könnte ich noch ein Wort verlieren ob solcher Qualen der inneren Zerissenheit die mein Leben durchschreitet. Wie könnte ich noch ein Wort verlieren kraft solcher Worte, die ja sagen, was ich meine. Mir entgleitet der Boden unter den Füßen.

Das Ziel ist bekannt, der grauen Unerträglichkeit und angestrengten Banalität des vorfindbaren Alltagslebens zu entrinnen, vielmehr der Aufstand gegen die Banalität eines unerträglich werdenden flachen, eindimensionalen Lebens. Doch der Weg ist uneins.

Das ganze Dasein ist stets durchzuckt von „désir“, purer und maßloser Sehnsucht, durch Raum und Zeit nicht begrenzt, alle Bereich des Lebens durchdringend. Mit diesem einzigen Wort fast Lacan den ganzen Menschen. Nur staunend macht mich diese Deutlichkeit. GOTT ist es, der das geheimnisvolle Ziel unserer/meiner Lebenssehnsucht ist und je mehr ich mein Leben "bete", bete ich es hin zu Gott. "Unruhig ist mein Herz, bis es Ruhe findet in Dir." (Augustinus.)

Ich weiß um die konkreten Wege zu Befriedung meiner Sehnsucht, doch mit ihnen gehen zugleich „manque“ einher: Mangel, Entbehrungen. Wohin soll ich mich also wenden?

Gott, mein Gott bist du, ich suche dich.
Es dürstet nach dir meine Seele.
Es schmachtet nach dir mein Leib,
im Land der Dürre, des Ermattens, ohne Wasser.
(Ps 63)

Dein Angesicht, IHWH, suche ich.
Verbirg dein Angesicht nicht vor mir.
Dein Angesicht zu schauen ist mein Glück.
(Ps 27)

Sonntag, 19. November 2006

Wie Gott die Menschen lieben - Hl. Elisabeth

Aus dem gemeinsamen Hirtenbrief der Bischöfe Heinz Josef Algermissen (Bistum Fulda) und Joachim Wanke (Bistum Erfurt) zum Elisabethjahr 2007:


"Was an der Hl. Elisabeth bis heute fasziniert, ist die ungewöhnliche Perspektive, mit der sie auf die Menschen schaut. Sie durchbrach in ihrem Denken, Urteilen und Verhalten Standesschranken ihrer Zeit. Sie schaute gleichsam mit den Augen Gottes auf die ihr anvertrauten Menschen.
Beim Sehen kommt es in der Tat auf die Perspektive an. Die Hl. Elisabeth war eine Frau mit einer ungewöhnlichen Perspektive. Sie war vom Evangelium angerührt, von der Botschaft Jesu vom Gottesreich, das in seiner Person schon jetzt unter uns angefangen hat.

Wer dem Evangelium traut, sieht manche Dinge anders. Er fängt z.B. an, in den Armen nicht nur ein soziales Problem zu sehen, sondern den gegenwärtigen Christus, wie uns der Herr selbst aufklärt. Denken wir an das große Gleichnis vom Endgericht (Mt 25, 31-46), dessen Pointe darin besteht, dass man in den Kleinen und Geringen – bewusst oder unbewusst – Christus dient.
Jesu Zuwendung zu den Kranken und Armen bezeugt nicht allein gesellschaftskritische Sensibilität. Sie ist ein direkter Ausfluss seiner Sicht Gottes. Vor Gott sind die Armen groß. Armut ist nicht zuerst ein sozialer Zustand, sondern eine Lebenshaltung. In denen, die bereit sind, alles von Gott zu empfangen, erkennt sich Jesus wieder. Solche Menschen sind Geist von seinem Geist, sie sind die „Anbeter im Geist und in der Wahrheit“, wie das Johannesevangelium sagt (vgl. Joh 4,23).

Jesus hat uns Gott neu sehen gelehrt. Jesu Leben, sein Verkünden und sein Handeln bezeugen, wie sehr er sich dem Vater im Himmel verdankt weiß. Er will uns anstiften, die „kostbare Perle“, den „reichen Schatz“ (vgl. Mt 13, 44-46) zu entdecken, um dessentwillen es sich lohnt, alles hinzugeben. Das Reich Gottes, als dessen Verkünder er sich versteht, ist ja letztlich Gott selbst, seine gnädige Herrschaft, sein Erbarmen, das die Sünde und den Tod als Herrschaftsmächte abgelöst hat. Wer sich als Reich-Gottes-Anwärter weiß, gewinnt einen neuen Horizont, schaut auf die Welt aus einer neuen Perspektive. Er taucht gleichsam in Jesu Lebensart ein und fängt an, die vielen Dinge „loszulassen“, die das Herz besetzen und den Lebenshorizont eng machen. Er weigert sich, alles nur noch unter dem Aspekt käuflicher Ware wahrzunehmen. Er gewinnt eine neue Weite, die ungläubige Zeitgenossen immer wieder zum Staunen bringt.

In dieser überraschenden Weite besteht das Geheimnis der Heiligen. Es geht bei Elisabeth nicht vorrangig um Nächstenliebe als Nächstenliebe. Natürlich geht es auch darum. Wir können so sagen: Nächstenliebe ohne Nachfolge Jesu ist eine Tugend. Nächstenliebe um Jesu willen und in seiner Nachahmung ist – Gottesverehrung. Das Handeln des Glaubenden wird dann zu einer Antwort, die nicht allein den Bedürftigen als solchen im Blick hat, sondern in ihm Gott selbst, dem unsere Lebenshingabe gilt.

Elisabeth ist nur zu verstehen, wenn man ihre Christusfrömmigkeit als Quellgrund ihrer Menschenfreundlichkeit zu würdigen weiß. Die Entschiedenheit, mit der Elisabeth den Weg der Christusnachfolge ernst nahm, ist eine deutliche Anfrage an das Christentum und die Gesellschaft heute. Elisabeth hat Christus in den Armen in einem umfassenden Sinn dienen wollen. Das Christentum verliert seine „salzende“ Kraft, wenn es Nächstenliebe nicht mehr so zu motivieren weiß.

Darum gilt von den Heiligen aller Generationen das Jesuswort: „Selig sind die, deren Augen sehen, was ihr seht!“ (Lk 10, 23). Die Heiligen sehen in der Tat alle Wirklichkeit mit neuen Augen. Sie stellen alle Dinge in einen neuen, eben einen österlichen Horizont.

Für uns Christen wird die Wirklichkeit nicht verzaubert. Die Realitäten behalten ihre Widerständigkeit. Wir werden als Christen nicht dem Leid und dem Schmerz enthoben. Uns werden auch keine heroischen Tugendkräfte verliehen, die uns zu Helden einer besonderen, herausragenden Moralität machen. Man könnte sagen: Wir Christen sind nicht besser (als andere), aber wir haben es besser!

Was uns Christen geschenkt ist, ist diese „Beleuchtung“ aller Wirklichkeit, die vom Osterlicht her kommt. Vielleicht erklärt das die tiefe Freude der Hl. Elisabeth, die Zeitgenossen von ihr bezeugen. Sie hat diese Freude zu ihrem Lebensprogramm gemacht, wie ihr Wort offenbart: „Wir sollen die Menschen froh machen!“ Selbst in Leid und Trauer ist diese Freude nicht von ihr gewichen. Hier erfährt sich jemand in einer Liebe geborgen, die unerschütterlich ist, nicht aufzuheben durch irdische „Todeszeichen“. Den Tod vor Augen sagte sie: „Ich habe einen kleinen Vogel singen gehört. Da muss auch ich singen.“

Die Botschaft des anbrechenden Elisabeth-Gedenkjahres, die wir offenen Herzens hören und aufnehmen sollen, heißt: Wer selbstlos liebt, berührt Gott, wird mit ihm „eines Sinnes“.
Das bedeutet zum einen etwas sehr Tröstliches: Es gibt auch heute über die aktiven Kirchenmitglieder hinaus viele „Gottesfürchtige“. So manche Menschen in unseren Ländern Thüringen und Hessen, die mit Kirche nichts oder nichts mehr anfangen können, sind dennoch Gott nahe – eben, weil sie in der Art der Hl. Elisabeth und ihres Verhaltens an manchen Stellen ihres persönlichen und beruflichen Lebens Menschen selbstlos dienen, und darin unbewusst Christus ähnlich werden.

Zum anderen: Unser eigener Gottesglaube braucht die Konkretion der „Fußwaschung“ am Mitmenschen. Jeder hat dazu allerlei Gelegenheiten. Besonders wichtig sind jene Dienste, die sich nicht weltlich auszahlen. Es muss in unserem Leben Handlungsweisen geben, die im Sinne der Welt „töricht“ sind, sich nur vom Osterlicht her erklären lassen. Ein Christ, der in diesem Sinne noch nichts Befremdliches getan hat, muss sich fragen lassen, ob er überhaupt auf dem Weg Jesu Christi geht.

Das Gedenken an Elisabeth soll uns veranlassen, mit ihren Augen auf unsere Zeit und ihre Nöte zu schauen. In Kurzform: Die beste Form des Gedenkens an die Hl. Elisabeth ist das genaue Hinschauen.
Unsere Zeit hat andere Nöte und Herausforderungen als jene des mittelalterlichen Feudalstaates, in dem Elisabeth zur Hocharistokratie gehörte. Was Elisabeth von ihren Standesgenossen unterschied, war ihre Bereitschaft, angesichts des Elends ihrer Zeit nicht wegzuschauen. Um genau dieses Anliegen wird es uns auch im Gedenkjahr 2007 gehen: Hinschauen, möglichst genau und konkret. Es gilt, die Nöte unserer Zeit beim Namen zu nennen. Dazu wollen wir uns sensibilisieren lassen, in den Pfarrgemeinden, in unseren katholischen Verbänden und Gemeinschaften, aber auch in der Öffentlichkeit und nicht zuletzt in der Beurteilung politischer Sachverhalte.

Aus dem Hinschauen soll und muss ein Handeln werden. Das kann in vielen Fällen nur zeichenhaft und beispielhaft sein, aber es wird nicht ohne Wirkung bleiben. Unsere Gesellschaft braucht mehr als Gerechtigkeit, so notwendig diese auch ist. Auf dem Fundament der Gerechtigkeit braucht unser gesellschaftliches Haus auch Barmherzigkeit und Solidarität für jene, die allein nicht mit dem Leben zurechtkommen. Gerade im Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen gilt es, der gesellschaftlich anzutreffenden Kälte zu widerstehen und Räume zu bewahren und auszubauen, in denen der Mensch Zuwendung und Wärme empfangen kann.

Elisabeth hat bekanntlich nicht Wert gelegt auf weltlichen Beifall für ihr Verhalten. Sie hat sich angeschaut gewusst. Nicht nur allgemein von den Menschen, sondern konkret in den Bedürftigen ihrer Zeit hat sie sich von Gott selbst fragend und bittend angeschaut gewusst. Ob das nicht das Geheimnis der Heiligen überhaupt ist? Sie wussten sich je „angeschaut“ vom Himmel her. Wenn wir die Heiligen ehren, ehren wir nicht nur tugendhafte Menschen, sondern rühmen die dynamische Kraft Gottes, die Biographien verwandeln kann. Darum ist die Verehrung der Heiligen für uns katholische Christen ein Lobpreis der Gnade Gottes.

Fulda und Erfurt, am 19. November 2006, dem Festtag der Hl. Elisabeth
+ Heinz Josef Algermissen, + Joachim Wanke"

Sonntag, 1. Oktober 2006

Ein Bild (vom Bild) vom Papst

Kaum aus dem Urlaub zurück machte ich mich sogleich auf den Weg nach Regensburg, obwohl ich von meinem Urlaub zweifelsohne einen Zweit-Urlaub nötig gehabt hätte. Das mein Regensburgsaufenthalt während des Papstbesuches aber kein "Zuckerschlecken" werden würde war selbstverständlich. Abgesehen davon, dass Regensburg immer eine Reise wert ist, war natürlich auch die "Botschaft des Papstes in und an seiner Heimat" mein Hauptinteresse. Im nachhinein darf aber in Frage gestellt werden, ob dies wirklich das Hauptinteresse aller Anwesenden war, denn dieses schien eher darin zuliegen, ein Bild vom Papst zu bekommen. In dieser Situation, in der man vom größten Spektakel der deutschen Mediengeschichte umzingelt war, wurde mir bewusst, wie ausnehmend wichtig es ist, einem solches Ereignis in der richtigen geistigen Verfassung zu begegnen - nämlich im Gebet. Die Gefahr in einen "Starrummel" zu geraten schien mir groß. Wie ein Strudel zog der Papst Massen an, die ihm seine Handykameras und DigiCams entgegenstreckten. Blitzschnell verstrich der (h)eilige Augenblick und wieder sah man nur ein Bild vom Papst, weil man doch die ganze Zeit auf sein Display starren musste, um den Papst auch ja im Bild zu haben. Es scheint, als sei nur echt, was man als Bild festgehalten hat - nur das Bild der Realität ist die Realität. Wie das Bild aussieht und welche Wirkung es hat entscheidet derjenige, der das Bild macht (wie wir gerade nach "Regensburg" feststellen durften). Ich habe es schließlich als äußerst bereichend erlebt sich gerade dann zum Gebet vor dem Allerheiligsten zurückzuziehen, wenn der Papst doch in Griffweite vorbeifuhr. Abstand gewinnen, klaren Kopf behalten. Nicht um jeden Preis muss ich dem Papst die Hand schütteln, eine gesunde Distanz zu diesem Menschen und zur Euphorie um ihn, hätte sicher jedem besser getan, auch dem Heiligen Vater selbst. So aber wurde er auf Schritt und Tritt, ja belästigt muss man fast sagen und alles schien für das Fernsehen von sensationslüsternen Interesse zu sein. "Die Stunden der Besinnung sind auf dem Bildschirm rar. Stattdessen wird meist besinnungslos zerredet, was sich von selbst erklärt. 'Jetzt schüttelt der Papst Hände', meinte Peter Mezger im BR immer wieder sagen zu müssen.", berichtet die SZ treffend.

Diese war es im übrigen auch, die am Tag nach der, inzwischen berühmtgewordenen "Regensburger-Rede" den entsprechenden "Kaiser-Passus" nicht als besonders skandalträchtig erwähnenswert fand, sondern einen sehr viel intelligenteren Artikel veröffentlichte. Er stellt fest, dass das Gesagte "eine der besten und klarsten Zusammenfassungen dessen sein [dürfte], was der Gelehrte Joseph Ratzinger zum Verhältnis von Glaube und Vernunft gesagt hat - ein Thema, da ihn schon als Professor beschäftigte." Die zentrale Botschaft ist: "Gott ist Vernunft"! Und folglich geht es nicht ohne ihn, denn was setzten wir an den Anfang, "die schöpferische Vernunft oder das Unvernünftige, das vernunftlos sonderbarerweise einen geordneten Kosmos hervorbringt." Ähnliches konnte man von Joseph Ratzinger schon im Jahr 2000 hören, das er nun wiederholt und weiter ausgeführt hat, nämlich "dass die Welt in einem sehr komplizierten Evolutionsprozess entstanden ist, dass sie aber im tiefsten eben doch aus dem Logos entstanden ist. Sie trägt insofern Vernunft in sich." Dieser Logos ist, gemäß dem Beginn des Johannes-Evangeliums, Gott: "Am Anfang was das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort." Genau diese Essenz nahm Benedikt XVI. in seiner Regensburger Vorlesung auf und erläuterte bzw. konkretisierte sie, indem er betonte: "Nicht vernunftgemäß handeln ist dem Wesen Gottes zuwider.", eben weil Gott Vernunft ist. Folglich kann "der christliche Glaube erkannt werden, und die Erkenntnis wiederum hat eine Wurzel im Glauben." Daher seien Glaube und Vernunft niemals getrennt zu betrachten, eine Vernunft ohne Glauben wäre eine "Selbstbeschränkung der Vernunft". Wenn eine solche Selbstbeschränkung sich durchsetzte, wie es den Anschein hat, insbesondere auch in der Theologie, die sich zunehmend als reine Wissenschaft begreife, dann "bleibe vom Christentum nur ein armseliges Fragmentstück übrig [...] das die eigentlich menschlichen Fragen [...] ins Subjektive verlegt."

Hier greift der Papst das Motiv der "Diktatur des Relativismus" aus der Predigt vor seiner Wahl wieder auf. Wird die Religion ins Subjektive, ins beliebig kombinierbare abgeschoben untergräbt sie nicht nur das Gemeinwesen, sondern auch das eigentliche Sein. Eine solche "Selbstkritik der Vernunft" bedeute aber nicht, das man nun "hinter die Aufklärung zurückgehen" muss, "aber nur, wenn 'Vernunft und Glaube auf neue Weise zueinander finden, können sich der Vernunft ihre ganze Weite wieder öffnen'. [...] Ein Text der tief in die Gedankenwelt Joseph Ratzingers hineinführt, einschließlich der Frage, die seine Thesen offen lassen: Welcher Art ist der Glaube, der aufs Neue mit der Vernunft zusammenleben soll - ein festgefügter oder einer, der Dialog - und Diskussionsprozesse kennt?" Ein Bild (vom Bild) vom Papst!

Donnerstag, 3. August 2006

Immortalitas IV – Die Wiederkehr der Religion oder Antworten auf eine „Kultur der Hinrichtung“

Die destruktive Antwort:
Die verbreitete angestrengte und angstbesetzte Art, maßlose Sehnsucht in mäßiger Zeit zu stillen, scheint immer mehr Menschen zu vielfältigen Formen der Flucht zu bewegen. Escapismus ist der wissenschaftlich Fachausdruck dafür. Das Ziel ist dabei immer das Gleiche: der grauen Unerträglichkeit und angestrengten Banalität des vorfindbaren Alltagslebens zu entrinnen.

Schon vor Jahrzehnten schrieb der Psychotherapeut Rudolf Affemann unter dem Titel „Krank an der Gesellschaft“ eine knappe Analyse, in der er die Fluchtmöglichkeiten aufzählte:

• Ein Fluchtweg führt in das gespielte Leben, in das Schauspiel, das einen einfängt, in Filmen, im Fernsehen, in Traumschiff oder Schwarzwaldklinik.

• Möglich ist es aber auch, das Alltagsleben einfach abzublenden. Dazu helfen Alkohol, noch mehr die Flucht in das erlebnisdichte Paradies der Drogen.

• Andere werden psychosomatisch krank. Das ist eine der gesellschaftlich am meisten honorierten und auch akzeptierten Formen der Flucht

• Auch der Weg in manch eine Sekte fällt unter die Fluchten. Sekten so besehen sind Sonderwelten, alternativ zur bestehenden Welt, mit strengen Ordnungen und Autoritäten, die es den Mitgliedern gestattet, die angesichts der enormen Unübersichtlichkeit des Lebens die lästig werdende Last der riskanten Freiheit los zu werden.

• Schließlich gehört auch der Selbstmord zu diesen Formen der Flucht aus der grauen Unerträglichkeit. Der Wiener Psychotherapeut Erwin Ringel beschreibt den Weg in den Selbstmord als ein immer enger Werden der erfahrenen Lebenswelt. Enge und Angst spielen ineinander. Der Selbstmord ist dann der letzte rettenden Sprung in eine neue Weite.

Sollten jene Recht haben, welche unserer modernen Kultur eine Art „präsuizidales Syndrom“ zueignen: Weil es eben eine pur diesseitige Welt ist, mit neunzig oder etwas mehr Lebensjahren – eine Zeitspanne und ein Lebensraum, indem allein Leben stattzufinden scheint?

Die kreative Antwort:
Es gibt neben der Flucht auch den Aufstand. Dieser hat inzwischen auch in der Forschung einen Namen bekommen und heißt „Respiritualisierung“ oder auch „Wiederkehr der Religion“.

Es ist ein Aufstand gegen die Banalität eines unerträglich werdenden flachen, eindimensionalen Lebens. Es ist der Aufstand gegen das ständige Kleingemachtwerden, die vielen alltäglichen abwertenden Hinrichtungen. Dazu kommt, dass Menschen aufbegehren gegen den subtilen Zugriff des Menschen auf den Menschen. Da schreiben High-tech-Mediziner vor, was ein gesunder Mensch ist und setzen die gesamte Technokratie ein, um die Schöpfung neu zu designen. Modernes Wirtschaften wiederum verfolgt das Wachsen der shareholder values, ohne Rücksicht auf die am Wirtschaften beteiligten Menschen. Die moderne Verwaltung wiederum vermag den Menschen über Microchips bis in seine genetischen Strukturen screenen und sein alltägliches Leben bis in die letzten Winkeln aushorchen und verfolgen. Was ist der Mensch? Klonbare Biomasse, ein genetisch zu verbessernder Zellhaufen? Weniger Wert als das Kapital? Ein verplanbarer Fall? Respiritualisierung kann der Protest gegen solche Erniedrigungen und Verwertungen des Menschen sein.

Damit stehen wir schon vor einer Schlüsselfrage, in der die Forschung noch kaum ausreichende Erkenntnisse besitzt. Immerhin gibt es brauchbare Anhaltspunkte. Es ist die Frage, was sich da im Zuge der Respiritualisierung ereignet? Es geht um eine Phänomenologie dieser neuen Spiritualitäten, die im Kommen sind. Ich versuche einige Punkte herauszugreifen:

Suche nach dem Ich: Moderne Menschen sind dabei, ihre Mitte, ihr Ich zu verlieren. Sie sind buchstäblich außer sich, geschleudert an die Peripherie des Lebensrades. Respiritualisierung dagegen ist die Suche nach dem eigenen Ich, nach der Mitte, nach der Berührung mit der eigenen Tiefe. Es ist der Exodus ins Ego, wie der Psychotherapeut Hans-Willi Weis, der die spirituelle Szene aus eigener Erfahrung kennt, diese Suche nach dem Ich bezeichnet hat. Das Ich zu entdecken, das meint zugleich die eigene Würde und Selbstvertrauen wiederzugewinnen, und das entgegen alle kulturell so gängigen Abwertungen und psychische Hinrichtungen. Der Weg führt die Suchenden in unterschiedliche Tiefen. Die einen landen selbstzufrieden bei sich selbst, andere hingegen graben weiter und finden in sich Urbilder, lernen sich als Gottes Gedanken verstehen und erleben darin eine Würde, die ihnen niemand mehr nehmen kann. Noch mehr: Sie gewinnen dadurch eine Unangreifbarkeit gegen alle versuchten Zugriffe von Menschen auf den Menschen. Sie erleben sich nämlich einig rückbezogen auf Gott (was eine der etymologischen Bedeutungen von Religion ist) und weigern sich daher, sich irgend etwas auf der Welt zu unterwerfen. Es muss hier in Erinnerung gerufen werden, dass dies der Grund ist, warum die Religion immer schon die letzten Feinde totalitärer Systeme waren. Denn religiöse Menschen verweigern den totalen Zugriff weltlicher Mächte (in der Politik, in der Wirtschaft, im Konsum). Gerade das vermeintlich Unpolitischste, nämlich die Religion, erweist sich an dieser Stelle als politisch hochbrisant. „Totalitär“ sind auch andere Systeme: der Konsum, die Kultur des Habenmüssens, die Kultur der Hinrichtung.

Suche nach Verwebung und Vernetzung: Moderne Kulturen vereinzeln den Menschen. Die positive Seite ist die Wertschätzung von Individualität und Freiheit. Die Schattenseite dagegen Vereinsamung, Vereinzelung und psychische Obdachlosigkeit. Im Zuge der Respiritualisierung suchen Menschen nach neuen Verwebungen und Vernetzungen. Solche finden sich in ganz unterschiedlicher Weise. Manche erleben sich als eins mit dem Kosmos, andere greifen auf alte mystische Traditionen zurück und erleben sich als ein Teil des Göttlichen, des Ganzen, des Ursprungs und des Anfangs. Erlebbar werden solche kosmische und mystische Verwebungen durch den Eintritt in unterstützende Gemeinschaften, in denen nicht nur die Würde, sondern eine tiefe Zusammengehörigkeit aller eine zentrale Erfahrung sind.

Suche nach einer Ethik umfassender Liebe: In vielen Feldern modernen Lebens, in Beziehungen, in Büros, in der Freizeit herrscht oftmals ein Lebensstil, der nicht aufbaut. Er ist geboren aus Mangel an eigenem Selbstwert, der sich durch Überheblichkeit über andere und durch das Kleinmachen, ja Niedermachen der anderen überkompensiert. Was dabei auf der Strecke bleiben ist der Respekt vor dem anderen, ist Solidarität mit dem anderen, ist letztlich die Liebe. Die Kultur der „Hinrichtung“ hat wenig Vorrat an solidarischer Liebe untereinander. Die Menschen fühlen, wie sie selbst von solch einem zerstörerischen Lebensstil erfasst sind. Sie merken zugleich, wie sie selbst Opfer solcher abwertender Demütigungen werden. Gegenseitig wertschätzende, fördernde und daher aufbauende Synergien sind in Gemeinschaften und Arbeitsbeziehungen selten geworden. Dagegen begehren aber jene auf, die sich auf eine spirituelle Suche gemacht haben. Sie suchen nach einer neuen Ethik, einer Ethik umfassender Liebe, die aufrichtet und nicht hinrichtet. Umfassend meint: zu den anderen, zu sich, zur Schöpfung, zu Gott. Solche Liebe, so fühlen sie, ist lediglich die Handlungsseite ihres Seins. Weil sie von ihrer Herkunft sich dem liebenden Anfang, den sie Gott nennen, verdanken, tragen sie auch die Möglichkeit in sich, wie Gott Liebende zu sein oder zu werden. Es gibt heute viele Verantwortliche, die sich fragen, wie Menschen auf solch einer spirituellen Suche mit neuer Qualität Unterstützung gegeben werden kann. Diese Frage stellen sich heute keineswegs mehr die alten christlichen Kirchen allein. Die Bereitschaft, spirituell Suchende zu stützen, ist in vielen alten und neue religiösen Bewegungen und Gruppen anzutreffen.

Dabei ist schon mitgesagt, dass nicht alles, was heute in spiritueller Unterstützung auf dem „religiösen Markt“ anzutreffen ist, wahr, gut und deshalb heilsam ist: Denn nur die Wahrheit wird uns frei machen (Gal 5,1). Die alte Lehre der Unterscheidung der Geister bekommt ein neues Gewicht. Dabei muss aber darauf geachtet werden, dass das Kind nicht mit dem Bad ausgeschüttet wird. Manche meinen ja, dass das, was sich da an neuer Spiritualität ankündigt, von Haus aus des Teufels und theologisch verwerflich ist. Dagegen ist es meine Position, dass jede spirituelle Suche als Moment eines ernsthaften Menschen Respekt verdient. Das Suchen ist vielleicht die stärkste Form des Wirkens Gottes in einem Menschen. Nur wer sich bewegt, kann sich auch auf Gott hin bewegen, genauer: kann sich von Gott selbst auf Gott als seinen Ursprung und seine Quelle hinbewegen lassen. Dann kann durchaus weiter gefragt werden, ob der jeweils ein- bzw. vorgeschlagene Weg der beste oder der richtige ist. Spiritualitätskritik wird zu einem Teil moderner Religionskritik, um die auch die heute stattfindende Respiritualisierung nicht herumkommt: Und das zu ihrem eigenen Wohl, wie ich betone. Denn nichts schadet spirituell Suchenden mehr, als wenn ihnen ein Weg gewiesen wird, der nicht ans Ziel ihrer Sehnsucht führt.

(Quelle: Prof. Dr. Paul M. Zulehner: Megatrend Religion - Kehrt die Religion wieder?)

Immortalitas III – Die Wiederkehr der Religion oder die Sehnsucht nach dem Glück

Sehnsucht ist jenes zentrale Wort, mit dem moderne Anthropologie das Rätsel des Menschen zu verstehen sucht. Der französische Philosoph Jacques Lacan fasst den Menschen mit dem einzigen Wort „désir“, pure und maßlose Sehnsucht, durch Raum und Zeit nicht zu begrenzen, alle Bereich des Lebens durchdringend: Liebe, Arbeit und Amüsement. Allerdings fügt er gleichsam korrigierend bei: Der Mensch ist immer auch zugleich „manque“: Mangel, Entbehrung. Eben darunter leiden wir denn auch: Dass die Rechnungen immer offen bleiben; dass wir stets nach mehr aus sind als stattfindet. Es ist das Leiden an der Endlichkeit, mit der sich auszusöhnen nach Erikson eine der höchsten Leistungen in der letzten Entwicklungsstufe des Menschen ist.

Wie damit leben? Es gehört zur Lebenskunst in allen Kulturen, eben mit dieser maßlosen Sehnsucht des menschlichen Herzens leben zu lernen. Menschen haben das im Lauf der Zeit auf sehr unterschiedlichen Wegen versucht: religiös, atheistisch, pragmatisch.

Der religiöse Weg: Die alten Kulturen betraten dazu den Weg der Religion. Diese erinnert den Menschen daran, wer er im Grund ist: aus einem göttlichen Ursprung geboren, von dessen Art (Apg. 17,28), also geprägt von maßloser Sehnsucht, aus dem Ursprung zu leben, wie dieser zu werden und in diesen heimzukehren. Aus dem Ursprung, dem Anfang aber lebt nur, wer wie der Ursprung selbst lautere Liebe wird: was ihn von Angst und Einsamkeit befreit.

Der atheistische Weg: Unsere moderne Kultur aber hat sich von der Religion und ihren alten Erinnerungen getrennt. Es ist jetzt das Zeitalters Nietzsches, in dem Gott tot ist. Der Mensch ist jetzt, da er Gott für tot hält, sich selbst ausgeliefert. Der atheistische Philosoph Henri Lefebvre, gibt der maßlosen Sehnsucht einen gottfreien Sinn. Er verweist auf Momente, die in unserem Leben stattfinden, die wir Feste nennen sollen. Dazu zählt er die Liebe, gute Arbeit, Erkennen, das Spiel. In diesen Momenten erfüllt sich gleichsam die Sehnsucht. Denn sie ragen aus Raum und Zeit heraus. Wenn Du zum Augenblicke sagst „Verweile doch, du bist so schön“, oder wenn wir mit den Männern auf dem Berg der Verklärung Jesu sagen möchte: „Hier lass uns drei Hütten bauen...“, dann ereignen sich solche Momente. Allerdings meint Lefebvre, dass die Momente scheitern. Die Zeit der „Verklärung“ geht zuende, der Mensch findet sich ernüchtert in den engen Grenzen von Raum und Zeit wieder. Besteht der Sinn der maßlosen Sehnsucht also nur darin, dass es ins alltägliche Leben eingestreut solche Momente gibt – und das eher selten? Der Schriftsteller Ernest Hemmingway lässt in seinem Roman „Wem die Stunde schlägt“ die weise gewordene Alte dem Soldaten, der ihre Tochter liebt, sagen: „Nur dreimal im Leben wackelt die Erde...“ Für die Lebensführung rät Lefebvre, sich um einen versöhnten Alltag zu kümmern und einen zerstörten Alltag zu vermeiden. Der angstbesetzt-zerstörte Alltag lässt Feste nicht auf-, sondern umkommen. In einem versöhnten angstarmen Alltag hingegen können uns neuerlich Feste zufallen, an die wir uns erinnern und die wir herbeisehnen. Es ist die Sehnsucht nach den Momenten, den Festen, die uns lebendig erhält. Die österreichische Dichterin Marie von Ebner-Eschenbach dichtet in diese Richtung, wenn sie schreibt: Nicht jene sind zu bedauern, deren Träume nicht in Erfüllung gehen, sondern jene, die keine mehr haben.

Der pragmatische Weg: Die Mehrzahl der Zeitgenossen ist aber weder religiös noch atheistisch. Sie sind pragmatische Glückssucher: 85% der Zeitgenossen verfolgen das Ziel zu versuchen, das Beste aus dem Leben herauszuholen Die Kraft der Sehnsucht ist in ihnen (noch) nicht zerstört. Da aber die pragmatischen Zeitgenossen religiös analphabetisch sind, steht ihnen die religiöse Lebenskunst nicht zur Verfügung. Der Verlust der Religion hat auch dazu geführt, dass Sie nur noch mir der irdischen Lebenszeit rechnen. Ihr Leben ist ihnen gleichsam „die letzte Gelegenheit“ (Marianne Gronemeyer). Da aber nötigt sie das Kunststück zu vollbringen, die maßlose Sehnsucht in mäßiger Zeit zur Erfüllung zu bringen, den Himmel auf Erden zu erzwingen. Sie versuchen deshalb, in Liebe, Arbeit und Amüsement optimal leidfreies Glück zu erlangen. Das führt aber dazu, immer rascher und hastiger zu leben. Solches Leben wird angestrengt, anfordernd und überfordernd. Die Angst taucht auf, „zu kurz zu kommen“, was uns wiederum voneinander entsolidarisiert. Vereinsamung ist der Preis. Und aus der tiefsitzenden Angst um uns selbst fangen die Zeitgenossen an, den anderen als Lebenskonkurrenten zu sehen. Daraus ergibt sich eine Kultur der Abwertung des anderen, die dauernd verurteilt, richtet und hinrichtet statt zu ermutigen, aufzubauen und zu unterstützen (Henri Nouwen).

(Quelle: Prof. Dr. Paul M. Zulehner: Megatrend Religion - Kehrt die Religion wieder?)

Immortalitas II – Die Angst vor dem Tod

Zwei Dinge sind Gewiss, stellt Frederic Beigbeder in seinem Roman „Der romantische Egoist“ fest: Der Tod der Erde und der eigene. Er stellt sich die Frage, wessen Tod zuerst kommen sollte. Der Tod der Erde ist vorzuziehen, denn dies käme am Ende aufs Gleiche raus. Zum einen besteht nicht mir die Gefahr etwas, d.h. die Zukunft zu verpassen. Mit dem Tod der Erde stirbt man zudem mit allen anderen Menschen zugleich. Man entgeht der Einsamkeit, dem einsamen Tod. Dies seien die zwei Gründe, weshalb alle Feldherrn und Kriegstreiber der Geschichte geradezu auf die Apokalypse, auf den Tod der Erde hinarbeiteten: Die Angst vor einem einsamen Tod und die Angst die Zukunft zu verpassen. Das ist egoistisch, gibt Beigbeder bzw. sein Alter Ego, Oscar Dufresne zu, aber wer sei heute denn kein Egoist, suche denn nicht einen guten Tod. Das dieser das unausweichliche Ende sei, ist ohnehin klar.

Dies ist eine sehr zynische Weltsicht, entspricht sie aber doch am ehesten jener unserer aufgeklärten Zeitgenossen.

Dienstag, 1. August 2006

Immortalitas I – Der unsterbliche Ruhm (Zur Einführung)

Nichts hat der Mensch, seit er vor tausenden Jahren Bewusstsein erlangte und dafür zugleich mit dem Wissen um seine Sterblichkeit gestraft wurde, ebenso verbissen, verzweifelt und erfolglos bekämpft wie die unaufhaltsame Vergänglichkeit. Alter und Tod gelten als die ewige Demütigung, die unverzeihliche Kränkung des Menschengeschlechts. Von den längst vergessenen Schamanen der Steinzeithöhlen, über die chinesischen Kaiser bis zu den Alchemisten des Mittelalters – durch die Jahrtausende hofften die Menschen, ein Elixier zu finden, das Unsterblichkeit verleiht, einen Jungbrunnen der dauernden Jugend. Wie die Versuche ausgingen, ist bekannt.

"Lebe schnell, stirb rasch und hinterlasse eine schöne Leiche", soll James Dean gesagt haben. Bereits mit seinem ersten Film "Jenseits von Eden" wurde er als Star gefeiert, für den Oscar nominiert und galt als neues Idol. Damit ist er das Bild dafür, wie heute Unsterblichkeit verstanden und angestrebt wird. Anerkennung und Berühmtheit, "Spuren hinterlassen" heißt es - dies sind die zeitgeistigen Wege zum ewigen Leben, die auch einen frühen Tod in Kauf nehmen. Die Menschen werden noch lange fasziniert bleiben vom Leben und Sterben des James Dean, der sich schon berühmt fühlte, als er noch im Schnellimbissen die Tische säubern musste. Und wie kann man auch nicht fasziniert sein von einem, der in so jungen Jahren diese Sätze in einem Brief an den Pfarrer seiner Heimatstadt schreibt: "Ich meine, es gibt nur eine wahre Form von Größe für einen Mann. Für mich liegt der einzige Erfolg, die einzige Größe in der Unsterblichkeit." James Dean hat für diesen Erfolg sehr jung sein Leben geben müssen. Aber er war vermutlich völlig einverstanden mit diesem.

Ist das aber der Weg "Herr, zu wem sollen wir gehen, Du hast doch Worte ewigen Lebens?" (vgl. Johannes 6,68) Unsterblichkeit hat etwas mit der Kehre der Bewegung zu tun. Mit Umkehr und Reue. Denn die Endlichkeit scheint selbst schon eine Art Sünde, da sie etwas Nichtgöttliches ist. Erst durch die Umkehr löst sich die "Sünde" des Endlichen auf, und in diesem Sinne wird "Gott alles in allem". Dieser Weg bedeutet Erlösung und Erlösung bedeutet Befreiung von der Endlichkeit, die als solche die eigentliche Last unseres Seins ist. (vgl. "Der Geist der Liturgie")
Nicht Ruhm oder das hinterlassen von Spuren bringt uns das ewige Leben, die Unsterblichkeit, sondern die Umkehr, denn "der Stachel des Todes ist die Sünde". Aber "Der Tod ist verschlungen vom Sieg! Tod, wo ist dein Stachel? Tod, wo ist dein Sieg?" (1Kor 15, 53-54) Durch Liebe hat Christus den Tod besiegt. Wer sein Wort hört und dem glaubt, der ihn gesandt hat, hat das ewige Leben; er kommt nicht ins Gericht, sondern ist aus dem Tod ins Leben hinübergegangen. (vgl. Joh 5,24)
Wie trostreich!

Freitag, 23. Juni 2006

Priesterweihe 2006

Kardinal Dr. Christoph Schönborn weiht am 23. Juni, dem Hochfest des heiligsten Herzens Jesu fünf Diakone um 16 Uhr im Wiener Stephansdom zu Priestern.

Ich möchte Menschen nicht dazu weihen, dass sie ausschließlich als Sakramentenspender in den Gemeinden hin- und herpendeln und sich nur noch in der Sakristei aufhalten. Ich wünsche mir für die Kirche der Zukunft auch keine Laien, die in Sachen des Glaubens unmündig sind. Ich wünsche mir Gemeinden und Priester, die sich gemeinsam auf den Weg des Glaubens machen. (Bischof Franz Kamphaus)

MMag. Seweryn Maksymilian Bojanowski
geboren am 23. Oktober 1969 in Gdansk (Polen)

Mag. Oreste Da Rin Floretto
geboren am 21. Oktober 1973 in Padua (Italien)

Dipl.-Ing. Mag. Andreas Kaiser
geboren am 20. November 1972 in Reichenau an der Rax

Mag. Wolfgang Polder
geboren am 15. Juli 1949 in Wien

Mag. Jesus David Jaen Villalobos
geboren am 15. Jänner 1975 in San Fernando (Spanien)

(aus: "Die Woche in St. Stephan")

Sonntag, 4. Juni 2006

Hochfest zur Aussendung des heiligen Geistes - Pfingsten.

Abschluß der Reihe "Man muss allzeit beten".

"Es ist gut für euch, dass Ich hingehe" (Joh 16,7). Das waren Jesu Worte, ehe Er uns verließ. So hat Er selbst die letzte Weise Seiner Begegnungen mit uns gezeigt und verdeutlicht, Seine letzte Zusammenkunft, das immerwährende Zusammensein, das Er jedem von uns für die Ewigkeit der Ewigkeiten bereitet hat.

"Und siehe, Ich bin bei euch alle Tage..."
Glauben wir daran? Fühlen wir uns wirklich so "begünstigt"?

"Wenn Ich nicht hingehe, wird auch der Tröster nicht zu euch kommen. Wenn Ich aber hingehe...dann kommt Jener, der Geist der Wahrheit...Er wird euch in alle Wahrheit einführen" (Joh 16,7-13). Nehmen wir diese Worte als ein Versprechen? Oder nur als frommen Trost? Als schönes Märchen? Oder glauben wir, dass es wahr ist?

Qui diceris Paraclitus – Komm, Tröster, der die Herzen lenkt. Dieser Tröster, dieser Geist der Wahrheit, dieser Gefährte, den man uns ankündigt - sind wir uns jemals Seiner Gegenwart bewusst geworden?

"Er ist es, der uns rufen lässt: Abba, Vater!" (Röm 8,15). Aber wie oft sind wir wirklich davon überzeugt gewesen, dass wir einen Vater haben? Wie oft haben wir uns tatsächlich als Söhne gefühlt, als Söhne und Töchter Gottes? Ohne Ihn wäre die Religion nichts als ein Bündel von Pflichten ohne Möglichkeiten, ein hohles Gebet, wirkungslose Sakramente, eine langweilige Messe, gehalt- und sinnlos. Er ist es, der uns die Dinge Gottes kosten, den Geschmack an ihnen prüfen lässt. Aber finden wir Geschmack an ihnen?

"O Gott, der Du die Herzen der Gläubigen durch den Hauch des Heiligen Geistes erleuchtet hast, gib uns durch diesen selben Geist den dauernden Geschmack an den Dingen Gottes und die ständige Freude an der Gegenwart dieses Tröster-Geistes: durch Jesus Christus, unserm Herrn." (Gebet zum Heiligen Geist.)

Nur die Kinder des Hauses haben den Wunsch, alles zu wissen, was im Hause vorgeht. Die Fremden kümmern sich nicht drum. Aber die Söhne und Töchter interessieren sich für alles, was beim Vater geschieht. Wenn wir nicht den Geist (der Kindschaft) Gottes haben, dann sind die Dinge Gottes ohne Interesse für uns. Sie „sagen“ uns nichts mehr. Wie viele Christen müssen nicht, wie die Leute, die der heilige Paulus zu bekehren unternahm, gestehen: „Wir haben nicht einmal gehört, dass es einen Heiligen Geist gibt!“ Sie haben Ihn beim Namen genannt, gewiss, hunderte Male, und haben das „Amen, „So sei es“, dahintergesetzt. Aber haben sie jemals bedacht, dass sie von dem Urquell ihres Lebens selbst gesprochen haben? Dass Der, den sie eben nannten, genau derselbe ist, der ihnen die Lippen erschlossen hatte, damit sie Ihn überhaupt nennen konnten? Haben diese erkalteten Menschen, die in ebenso kalten Predigten eingeladen werden, „ihre Ostern zu halten“, jemals gehört, dass es einen Heiligen Geist gibt – einen Geist der Liebe, des Austausches, der Anteilnahme, der Freude, der brüderlichen Verbundenheit –, in den sie eingehen, mit dem sie sich verbinden sollen; der sie für immer mit den andern, in einem Leib, bewahren will? Dass dies eben die Kirche ist? Dass man eben diesen Geist finden muss, um wirklich „Ostern gehalten zu haben“? Wenn der heilige Paulus diesem „Leben des Geistes“ (Leben durch den Geist) das „Leben des Fleisches“ entgegensetzt (Röm 8,9-14), dann erklärt er damit, dass es unmöglich ist, Christus anzugehören, ohne unser gewohntes Leben zu ändern. „Wenn einer Christi Geist nicht hat, so gehört er nicht zu Ihm.“

Der Heilige Geist ist Ursprung und Urquell der Fleischwerdung Christi in jedem Christen, so wie Er Ursprung und Urquell der Fleischwerdung Christi im Leib der Jungfrau Maria gewesen ist. Dass der Heilige Geist in uns wohnt, ist ebenso wahr wie die Fleischwerdung Christi. Die geschichtliche Fleischwerdung Jesu setzt sich fort und vollendet sich in einer Geistwerdung der gesamten Menschheit.

Pfingsten hat geoffenbart, dass Gott nicht für dreiunddreißig Jahre, sondern für immer Fleisch geworden ist. Dass Er das, was Sein Leben ausmacht (das heißt, Seinen Geist der Liebe), für immer mit uns teilt. Pfingsten – das ist der Auftakt zur unwiderruflichen, immerwährenden Gegenwart Christi hier in der Welt. Und wo ist Er? Im Menschentum eines jeden von uns. Dort setzt Er nun Sein Werk fort – das Werk der Fleischwerdung, der Erlösung. Fleischwerdung Gottes, Erlösung der Welt. Dass der Geist Jesu in unseren Herzen wohnt, ist wohl bedeutungsvoller als die geschichtliche Fleischwerdung. Pfingsten scheint ein gewaltigeres Ereignis als Weihnachten. Denn in der Fleischwerdung – da wir Gott zum Menschen, Gott wird ein Mensch. Zu Pfingsten aber werden die Menschen aufgerufen, „Gott zu werden“. Gott hat sich nicht nur zu uns herabgeneigt, sondern Er will uns auch zu Sich emporheben. Die Offenbarung des Geistes ist viel großartiger, auffallender als die des Sohnes. Die Fleischwerdung des Sohnes geschah im Dunkeln, in der Nacht, in einem Stalle.

Pfingsten aber platze wie eine Bombe in den helllichten Tag hinein, und Hunderte Menschen waren Zeugen dieser Verwandlung. Hier war nicht mehr Gott, der in Not und Leid zum Menschen wurde, sondern eine ganze Schar Männer, die im gleißenden Licht und voll Entzücken „Gott“ wurden. „Ihr werdet größere Dinge tun als Ich“: Jesus denkt an die Kirche, wenn Er dies weissagt. Das ureigenste Werk des Geistes ist die Kirche. „Wenn du die Gabe Gottes kenntest!“ Diese Gabe ist die Kirche. Altissimi donum Dei – Beistand, den der Vater schenkt. Gott für den Menschen im Menschen. Mit dem Menschen verbunden. Was ist das Beste, das Gott besitzt? Sein Geist (der Liebe). Er gesellt Ihn uns bei. Er lässt uns an Ihm teilhaben. Und durch den Zusammenschluss jener, die Ihn empfangen haben, entsteht und wächst die Kirche. Wenn Jesus uns sagt, dass Er uns Seinen Geist der Liebe senden wird, dann zieht Er sich nicht zurück, sondern verspricht uns den, der uns am engsten mit Ihm verbindet.

Wo werden wir Ihn finden? Wo müssen wir Ihn finden? Der Vater hatte sich im Alten Testament geoffenbart. Er wurde verraten, missverstanden. „Nachdem Er verschiedene Male zu unsern Vätern durch die Propheten gesprochen hatte“ Aber Jerusalem hat die Propheten getötet: „Sie prügelten den einen, den andern töteten und den dritten steinigten sie. Zuletzt sandte Er Seinen Sohn zu ihnen“ (Mt 21,35-37). Der Sohn hat sich im Neuen Testament geoffenbart, und indem Er sich offenbarte, offenbarte Er den Vater („Wer Mich sieht, sieht auch den Vater“). Dann endlich wurde uns der Heilige Geist – in der Kirche – gesandt. Er offenbart uns den Vater und den Sohn und Seine eigene Macht der Liebe – den Geist der Kindschaft (Röm 8,15) – ,die uns diese Dreieinigkeit nicht nur enthüllt, sondern uns in sie hineinführt. „Vater, Du in Mir und Ich in ihnen“ sagte Jesus, nachdem Er den Heiligen Geist angekündigt hatte. Und tatsächlich, das ist das Werk des Heiligen Geistes: „dass sie eins seien, wie Du und Ich, Vater, eins sind“ (Joh 17,11).

Und das ist nun die Aufgabe der Kirche, aller derjenigen, die wie Maria ihr „Fiat“ sprechen, dass das Wort in ihnen Fleisch werde. Aller derjenigen, in denen ein „neuer Mensch“ durch den Heiligen Geist empfangen wurde. Weil sie dazu bereit sind. Weil sie sich von diesem Geist des Mitteilens und der Liebe packen lassen. Dem Geist der Kommunion.

Der Heilige Geist ist der Lebensspender der Kirche, ihr Spiritus rector. Er ist es, der sie unablässig neu schafft, sie „von allen vier Winden“ her unermüdlich sammelt. Er ist es, der allen Hindernissen zum Trotz bewirkt, dass es Menschen gibt, die einander lieben: „Betrübet den Heiligen Geist nicht, in dem ihr auf den Tag der Erlösung besiegelt seid...Seid vielmehr miteinander gütig und barmherzig und vergebt einander“ (Eph 4,30.32). „Alle, die vom Geiste Gottes getrieben werden, sind Söhne Gottes“ (Röm 8,14). Wer sich von der Gemeinschaft der Brüder – von dem Geist der Gemeinschaft – fernhält, ist nicht mehr Sohn. Wo immer zwei oder drei in Seinem Namen beisammen sind, ist Er mitten unter ihnen. In Seinem Namen – das will sagen: in Seinem Geist. Es ist immer der gleiche Grundton: „Vater, dass sie eins seien, wie Wir eins sind – eins in Uns.“ Es gibt keine gültige Gemeinschaft als mit Ihnen. Und es gibt keine gültige Einigung mit Ihnen als in Mit-Gemeinschaft. Mit mehreren. Eng verbunden.

„Und ihr sollt erkennen, dass Ich der Herr bin...wenn Ich euch Meinen Geist gebe, dass ihr lebt, und euch Ruhe gewähre in eurem Lande.“ (Liturgie vom Karsamstag) Diese Ruhe, das ist die Freude des Pfingstfestes – im Gegensatz zu der Verwirrung beim Turm von Babel –, die Freude aller Pfingsten, an denen Menschen mit einem Schlag zur wahrhaften Liebe, zum wahrhaften gegenseitigen Verstehen erwachen. Und welches Mittel verhilft uns dazu, den Nächsten zu verstehen? Die Liebe. „Jeder einzelne hörte sie in seiner Muttersprache reden.“ Es handelt sich da nicht um einen sprachwissenschaftlichen Kraftakt, sondern die Nächstenliebe ist es, die uns so wandelt, dass jeder sich verstanden, geliebt, glücklich, nahe bei uns fühlt. „Ihr wisst, welch Geistes ihr seid!“

Man muss darauf achten, dass man den Beinamen „Tröster“, den man dem heiligen Geist gibt, nicht zugunsten unseres Individualismus (d.h. unserer Sünde) verfälscht. Als Christus noch mit seinen Aposteln zusammen war, wurden die Apostel viel öfter durchgerüttelt als „getröstet“. Der Trost besteht in der gegenseitigen Liebe. Es handelt sich nicht darum, jedes mal, wenn wir „gekränkt“ über die „Undankbarkeit“ unserer Brüder sind, still in eine kleine, verschwiegene Kapelle zu flüchten und dort zum Herrn zu jammern, damit der Heilige Geist uns über unseren Mangel an Liebe tröstet. Wir gelangen zum Heiligen Geist (der Liebe) nur durch die Liebe. Der Trost des heiligen Geistes besteht darin, dass Er uns unablässig und immer von neuem die Kraft verleiht zu lieben. Sein Werk besteht nicht darin, diesen oder jenen zu erleuchten, sondern darin, den Leib Christi zu beleben und aufzubauen. Daher sind die Bedingungen für die Gabe und das Wirken des Heiligen Geistes wesentlich gemeinschaftsbestimmt. Er wirkt in der gegenseitigen Liebe der Gläubigen als Geist der Liebe und der brüderlichen Eintracht. Der Heilige Geist, der den Vater dem Sohn und den Sohn dem Vater zuwendet, muss auch uns einander zuwenden. Wie schwer fällt es uns, uns zur Anbetung eines fleischgewordenen Gottes bereit zu finden! Wenn man das Credo singt, beugt man sich bei den Worten „und ist Mensch geworden“. „Homo factus est“ – „Gott ist Mensch geworden.“ Er ist... dieser Nachbar geworden, der zu nah ist, als dass wir gut beten könnten. Aber was für einen Wert hat unser Gebet, wenn wir uns von Ihm abkehren, um Ihn dort zu suchen, wo Er nicht ist: in unserer einsamen Abgeschlossenheit, in unserer geistigen Innerlichkeit: „Jesus und ich in einer Flasche.“ Gut verkorkt! Man vergräbt das Gesicht in die Hände, um behaglich seinen persönlichen kleinen heiligen Geist zu genießen. Glücklich diese taubstummen Blinden! Sie vernehmen nicht die unangenehmen Rufe dieses Fleisches, bei dem es doch nicht ganz sicher sein mag, dass das Wort darin gefesselt wurde. Trotzdem kniet man nieder, wenn man bei der Pfingstmesse sagt: „Veni Sancte Spiritus...est tui amoris in eis ignem accende.“ - Komm, Heilige Geist...und entzünde in ihnen das Feuer deiner Liebe.

Auch hier ist Fleischwerdung. Er hat sich in diesen Menschenteig eingesenkt, und so beglückt müssen wir darüber sein, dass wir unsere Freude nur auf den Knien liegend ausdrücken können. Wenn wir Gott im Menschen nicht anerkennen, dann ist mit uns nichts anzufangen. Wir sündigen durch diese Pseudo-Geistigkeit im präzisen Sinne des Wortes „wider den Geist“, der uns alle diese „Dinge“ lehren muss, deren beginn die Fleischwerdung ist. Nur wenn man den andern angehört, gehört man Christus an.

Samstag, 3. Juni 2006

"Man muss allzeit beten" - Teil III

Eine Meditation mit Bildern auf Pfingsten hin

Christus will, dass wir unser Herz leer machen, aber nur um es mit Göttlichem zu füllen. Diese Reinigung ist und bleibt so lange unvollkommen, als sie nicht diese göttliche Fülle zur Folge hat, gerade so, wie sich das göttliche Leben in uns nicht entfalten kann, wenn wir uns nicht von den geschöpflichen Dingen freimachen. Das Sterben des Ich und das Leben in Gott sind unzertrennlich miteinander verbunden; das eine ohne das andere ist unmöglich.
Hören wir, was Christus denen verheißt, die Sein Wort befolgen! Es sind Verheißungen, die Er an jedem von uns erfüllen will, ja göttliche Ungeduld brennt in Ihm, sie zu verwirklichen. "Wer Mich liebt, der wird von Meinem Vater geliebt, und auch Ich will ihn lieben und Mich ihm offenbaren. Wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen" (Joh 14,21-23).

"An jenem Tage werdet ihr erkennen, dass Ich in Meinem Vater bin und das ihr in Mir seid und Ich in euch" (14,20). "Ich will den Vater bitten, dass Er euch einen anderen Beistand gebe, der in Ewigkeit bei euch bleibe: den Geist der Wahrheit. Er wird bei euch bleiben und in euch walten" (14,16-17). Dieses gegenseitige Innewohnen, diese Verschmelzung, dieses staunenerregende Einswerden mit den drei göttlichen Personen ist das erhabene Ziel, welches man den Seelen gleich zu Beginn des geistlichen Lebens vor Augen stellen soll. Das ist der ausdrückliche Wunsch und Wille unseres Herrn selbst. Es genügt nicht, die Seelen für ein himmlisches Ziel zu begeistern: man muss sie in das Reich Gottes selbst eintreten lassen und ihnen zeigen, dass dieses schon hienieden ihr Anteil und Besitz ist: "Das Reich Gottes ist in euch" (Lk 17,21).

Außerhalb dieses Einswerdens mit Christus, unserem Herrn, und des trauten Umgangs mit dem Vater und dem Heiligen Geiste, der die Folge davon ist, gibt es weder ein wahrhaft tiefes geistliches Leben, noch eine übernatürliche Fruchtbarkeit.
"Bleibt in Mir, dann bleibe Ich in euch. Wie die Rebe, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, aus sich selbst keine Frucht bringen kann, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in Mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in Mir bleibt und in wem Ich bleibe, der bringt viele Frucht, denn ohne Mich könnt ihr nichts tun. Wer nicht in Mir bleibt, wird wie eine Rebe weggeworfen und verdorrt, man rafft sie auf und wirft sie ins Feuer, wo sie verbrennt. Wenn ihr in Mir bleibt, und wenn Meine Worte in euch bleiben, so möget ihr bitten, um was ihr wollt; Es wird euch zuteil" (Joh 15,4-7).
Das stille Gebet der Christus geeinten Seelen, die aus Seiner Lebensfülle leben, ist von souveräner Macht und Bedeutung. Eine solche Seele ergeht sich nicht mehr wie früher nur in Bitten und Danksagungen. Ihr Gebet ist ein ununterbrochener, vollklingender Zusammenklang mit dem Gebete Christi, das einzig Gottes Wille ist.

"Ihr werdet Mich um nichts mehr fragen, denn der Vater wird euch alles geben, um was immer ihr Ihn in Meinem Namen bittet" (Joh 16,23).
"Ich sage euch nicht, dass Ich den Vater für euch bitten werde, denn der Vater liebt euch, weil ihr Mich geliebt und weil ihr geglaubt habt, dass Ich von Gott ausgegangen bin" (Joh 16,27).
Die Seele, welche sich dem göttlichen Worte ganz erschlossen, die Es in sich aufgenommen hat wie die allerseligste Jungfrau, wird gleich dieser ein Sitz der Weisheit. Sie ist vom göttlichen Lichte erleuchtet. Ganz ausdrücklich verheißt unser Herr selbst einer solchen Seele, in welcher Er mit dem Vater und dem Heiligen Geist wohnen will, diese der Welt unbekannte Gabe. "Der Beistand aber, der Heilige Geist, Den der Vater in Meinem Namen senden wird, Der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was Ich euch gesagt habe" (Joh 14,26). "Nicht mehr Knecht nenne Ich euch, denn der Knecht weiß nicht was sein Herr tut. - Freunde habe Ich euch genannt; denn alles was Ich von Meinem Vater gehört, das habe Ich euch geoffenbart" (Joh 15,15). "Wenn der Geist der Wahrheit kommt, wird Er euch in alle Wahrheit einführen" (Joh 16,13).

Diese Erkenntnis ist das schon hier, in dieser raumzeitlichen Welt, begonnene ewige Leben. "Das aber ist das ewige Leben: Dich erkennen, den allein wahren Gott und den Du gesandt hast, Jesus Christus" (Joh 17,3).
Dieses Erkennen ist keine bloß theoretische, abstrakte Wissenschaft, sondern die in Tat und Leben umgesetzte, verwirklichte Weisheit, voll Liebe, Güte, Barmherzigkeit und Milde. Kraftströme der göttlichen Liebe durchfluten die ihr treue Seele, um von ihr aus in zahllose andere Seelen weiterzuströmen und dann wieder zu ihrem Urquell zurückzukehren. Je mehr diese Liebe in der Gotteswirklichkeit an Hochherzigkeit und Innigkeit zunimmt, um so stärker wird die Seele von einer stets wachsenden, tiefen Erkenntnis überstrahlt, die ihrerseits wieder die Liebe mehrt. "Bleibt in Meiner Liebe!" (Joh 15,9). Wenn Verstand, Wille und Einbildungskraft auf diese Weise geläutert und wieder zu ihrem göttlichen Ursprung zurückgeführt sind, wenn die Seele von dem göttlichen Leben erfasst und in dasselbe einbezogen ist, lernt sie auch die wahre Freude kennen. "Das habe Ich euch gesagt, auf dass Meine Freude in euch sei und eure Freude vollkommen werde" (Joh 15,11). "Euer Herz wird sich freuen und eure Freude wird niemand von euch nehmen" (Joh 16,22). "Dies habe Ich euch gesagt, damit ihr in Mir den Frieden habt. Frieden hinterlasse Ich euch, Meinen Frieden gebe Ich euch" (Joh 16,33;14,27).

In der lichtklaren Einfachheit und Sicherheit eines bis in den letzten Tiefen vergöttlichten Lebens erfreut sich die Seele eines unnennbaren Friedens. Sie erlebt in sich die Erfüllung der letzten Worte des Hohepriesterlichen Gebetes: "Damit sie ein seien, wie Du, Vater, in Mir bist und ich in Dir bin, so sollen auch sie in Uns sein, damit die Welt glaube, dass Du mich gesandt hast." "Ich habe die Herrlichkeit, die Du mir gegeben, ihnen gegeben, damit sie eins seien, wie wir eins sind" (Joh 17,21-22).

Dienstag, 30. Mai 2006

"Man muss allzeit beten" - Teil II

Eine Meditation mit Bildern auf Pfingsten hin

Jesus Christus sagt: "das Reich Gottes ist in euch" (Lk 17,21). Nicht nur irgendwie, sondern zutiefst in unserem Wesen: "Wer Mich liebt wird Mein Wort halten, Mein Vater wird ihn lieben und Wir werde zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen" (Joh 14,23).

Leider dringen wir zu wenig in diese Wahrheit ein. Viele Seelen sind ehrlich bestrebt, ein immer makelloseres Leben zu führen. Aber nur wenige wählen den Glauben zu ihrem sichern Führer, schöpfen Kraft aus der Hoffnung, lassen sich von der Liebe ganz und gar durchglühen und haben so vollkommen teil an jenem Leben, das Jesus uns gebracht hat.

Wir leben eingehüllt in göttlich Liebesbeweise. Nicht Gott hindert uns, von heute an innigst vereint mit Ihm zu leben. Wir müssen nur mit ganzem Willen dieses übernatürliche Leben in Gott Leben wollen. Die Richtlinien kennen wir, der Weg liegt vor uns offen. An uns ist es, ihn zu beschreiten; tun wir es nicht, so ist es unsere Schuld.

Doch gestehen wir es ein, "die Kinder der Welt sind in ihren Angelegenheiten klüger als die Kinder des Lichtes" (Lk 16,8). Wir tragen in uns einen kostbaren Schatz von unendlichem Wert - die heiligmachende Gnade. Aber wir würdigen ihn nicht und machen ihn deswegen unfruchtbar. Ob unser Heiland nicht darauf hinweist, wenn Er im Gleichnis von dem Talent erzählt, das der ungetreue Knecht in die Erde vergrub und liegen ließ? (Mt 25,18).

Jesus aber begnügt sich nicht damit, uns diesen Reichtum innigster Liebesgemeinschaft mit Ihm bloß anzubieten. Er drängt uns mit Ungestüm, ja Er nötigt uns fast, ihn anzunehmen. Er verfährt mit uns fast ähnlich wie mit jenem Armen und Krüppeln im Evangelium, die der Herr zum göttlichen Festmahl rufen lässt, und sie haben nicht mehr die Freiheit, diese Einladung auszuschlagen: "Compelle intrare", - "nötige sie hereinzukommen" (Lk 14,23).

Kommen wir der Einladung Seiner Güte nach und beten wir von jetzt an mit der Kirche zu Gott: "Herr, verleihe uns Wachstum im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe!". Wir begnügen uns nicht mehr damit, unser Tagewerk mit ein paar Gebetlein zu beginnen und zu schließen. Solche vereinzelten Übungen machen kein Leben aus. Leben bedeutet: eine anhaltende, dauernde Tätigkeit. Jesus selbst will unser Leben sein. "Ich bin das Leben" (Joh 11,25).

Immer, ohne Unterlass sollen wir mit Gott vereint sein. Nicht um diesen oder jenen frommen Akt, oder um diese oder jene Andachtsübung oder Formel ist es Gott zu tun. Er will uns ganz. Er beansprucht alle unsere Zeit, alle unsere Kräfte, unsere ganze Seele. Dafür gibt Er uns die Möglichkeit, das ewige Leben schon hienieden zu beginnen. Folgen wie dem Aufruf unseres Meisters, um die wundersam reine, klare Luft ewiger Wahrheit und Liebe atmen zu können!

Montag, 29. Mai 2006

"Man muss allzeit beten" - Teil I

Eine Meditation mit Bildern auf Pfingsten hin

Indem wir während des Tages die wesentlichen Akte der Betrachtung möglichst oft wiederholen, wecken und entfalten wir in uns den Geist des Gebets. Das Wort des hl. Johannes wird zum strahlenden Stern und Leuchtfeuer in unserem Leben: "Gott ist die Liebe, wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm" (1 Joh 4,16). Als Folge davon erfahren und verwirklichen wir das andere Wort des gleichen Apostels: "Wer aus Gott geboren ist, sündigt nicht, weil Sein Lebenskeim in ihm lebendigt bleibt" (1 Joh 3,9).


Nichts ist leichter, als sich von Zeit zu Zeit - und wäre es auch nur für einige Sekunden - von den Beschäftigungen und Verrichtungen des täglichen Lebens loszumachen, um sich mit Gott zu vereinen. "Wie gut ist es für mich, Gott anzuhangen" (Ps 73). Jeden Augenblick kann ich mit Ihm reden, ja ich bedarf nicht einmal der Worte dazu. Ein kurzer Blick in mein Inneres, ein Gruß, ein Akt der Liebe, des Vertrauens, der Bitte um Licht und Kraft, je nach Umständen und Bedürfnis, genügt. "Ich erinnerte mich an Gott, und fröhlich ward mein Herz" (Ps 77). So schaffe ich mir allmählich eine innere Einsamkeit, in der ich beständig auf die Stimme meines Vielgeliebten hinhorche, der selbst mir diese traute Zwiesprache verheißt: "Ich werde ihn in die Einsamkeit führen und da zu seinem Herzen sprechen" (Hos 2,16).


Ich bemühe mich mit immer größerer Treue, dieser Stimme zu lauschen und alles freudvoll zu erfüllen, was er von mir will. "Ich lausche, was in mir der Herr spricht" (Ps 85,9). Wenn Schwierigkeiten sich mir entgegenstellen, nehme ich meine Zuflucht zu Ihm. In Ihm finde ich Licht und Kraft, mit Ihm teile ich meine Freude, mit einem Wort: Er nimmt den ersten Platz in meinem Denken und Handeln ein. Mein ganzes Leben, das bisher nur um mein eigens Ich kreiste, findet fortan seinen ganzen Sinn und Zweck einzig in Ihm.


All das tue ich ohne gewaltsame Anspannung des Geistes. Die häufige Wiederholung einzelner Tugendakte bewirkt die Ausbildung tugendhafter Gewohnheiten. Wenn ich also in die Atmosphäre des Lebens beständigen Glaubens, Vertrauens und Liebens gelangen will, muss ich nur solche Akte möglichst oft wiederholen. Ich bin dann sicher, dass Gott mich zu Seiner innigsten Lebensgemeinschaft ruft. "Meine Wonne ist es ja, bei den Menschenkindern zu sein" (Spr 8,31). Ich scheue weder Mühe noch Arbeit, um diese Lebens- und Liebesgemeinschaft so schnell wie nur möglich zu erwerben und dauernd darin zu verbleiben.

Freitag, 28. April 2006

Der Wille zur Macht - ein Wille zur absoluten (individuellen, kinderlosen) Freiheit?

Eine Betrachtung zum Gedenktag der heiligen Gianna Beretta Molla

"Der Herr aber ist der Geist; und wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit." (2Kor 3, 17)

Die heilige Gianna Beretta Molla ist ein einzigartiges Vorbild in unserer Zeit, in der unaufhörlich über christliche Werte, Feminismus und die Rolle der Frau, in einer Zeit, in der über das Für und Wider von Abtreibungen diskutiert wird und man sich fragt, wie erstrebenswert es heute wirklich noch ist eine Familie zu gründen, wie sehr Kinder und das aufopfern für diese dem eigenen Karrieredenken, dem eigenen Selbst vorzuziehen sind? Sicher: "Keine Frau", stellt Ulrich Greiner in einem ZEIT-Artikel mit Bezug auf ein Essay von Iris Radisch fest, "wird ihre Entscheidung für oder gegen ein Kind von der Lage der Rentenversicherung und vom Blick auf die Alterspyramide abhängig machen. Und ich kann gut verstehen, dass sich die Kollegin Radisch über die Bigotterie empört, mit der eine scheinerregte Öffentlichkeit das Problem des Kindermangels einfach auf die jungen Frauen ablädt, während es doch in Wahrheit alle angeht. Nun hat aber Iris Radisch die eigentlich Schuldigen ausgemacht, nämlich die Männer." Im weiteren verteidigt Ulrich Greiner "die" Männer und weist die Schuld von ihnen, geht aber nicht weiter auf das Problem des Kindermangels selber ein, das m.E. vielmehr darin liegt, dass das Kind nicht mehr jenen positiven Stellenwert in der Menschheit hat, wie es lange Zeit der Fall war. Während sie heute als Bedrohung der Individualisierung, die unter dem Deckmantel des trendigen Begriffs der Selbstfindung daherkommt, gesehen werden, erkannte man sie die ganze Menschheitsgeschichte hindurch, bis vor einhundert Jahren als Segen. Kinder, die neuen Menschen, werden heute als Gefährdung der eigenen Zukunft und des Lebensraums abgelehnt, womit die Individualisierung sich als zutiefst verwurzelter Egoismus, wenn nicht sogar Narßismus zu erkennen gibt. Der heutige Egoismus zeigt sich eben vor allem in einem exzessiven Ausleben einer Persönlichkeit, dass heißt das sichtbare Nachaussenkehren einer scheinbaren Individualität. Das aber die Individualität in Wahrheit eine Lüge und zugleich aber eine uralte Realität ist und damit die Individualisierung keine Revolution des Indivuums, sondern eher ein sich lächerlich machen ist wird nicht erkannt. Denn in Wahrheit drängt doch das "Individuum" in die Masse und jedes "anders-sein-wollen" muss daran scheitern, das ein völliges Anders-Sein niemals erreicht werden kann. Das gleichzeitige hineindrängen und abheben wollen von einer uniformierten Individualmasse führt schließlich eben zu jenem niemals endenden „Selbstfindungs- oder Selbsterkennungs-Trend“, der heute herrscht, da man doch nie sein ganz anderes Selbst finden kann. Ein nicht unwichtiger Grund, weshalb die Menschen scheinbar so wenig über sich selbst wissen ist, und das ist vielleicht ein Versäumnis der Aufklärung, die den Menschen stets nur sagte, sie seien „vernunftbegabte Individuen“, aber nicht was sie mit dieser Formel anzufangen haben, das ihnen die meisten bloß sagen wie sie sein sollen und nicht wie sie sind. Dies übernimmt heute nun die (Werbe-)Industrie, die viel weniger sagt, wie wir sein sollen, wie weithin angenommen wird, sondern eher, wie wir sind: Wir sind zu dick, wir sind zu alt, wir fahren ein zu schlechtes Auto, wir riechen zu schlecht etc., woraufhin uns vorgegaukelt wird, dass es uns mit bestimmten Produkten viel besser geht, woraus folgt, dass die Identität eigentlich durch Besitz beschrieben wird und den „individuellen Charakter“ ausdrückt. Die Frage nach dem Selbst ist also oft vielmehr eine Frage nach dem Besitz: „Was werde ich haben?“. Folge des gesamten Individualisierungsprozesses ist eine ständige Neuinszenierung des Einzelnen und seiner Persönlichkeit mit seinem Besitz, zum Zwecke der Abhebung von der Masse, ohne das er jemals zum Ende findet.

Kann man dieses Verhalten aber sogleich pauschal ablehnen oder auch gar Verständnis dafür aufbringen? Das kann man durchaus, denn wenn man sich die globalisierte Welt vor Augen hält, die uneingeschränkten Konkurrenzkampf und damit Massenarbeitslosigkeit und Armut mit sich bringt, kann es verstehbar werden, warum ein Individualisierungsprozess einsetzt, der die Möglichkeit propagiert, sich von der Masse abheben zu können, eben zu dem Zweck anders zu sein und damit den "Marktwert" zu erhöhen. Das damit auch ein zunehmender Provokationismus einhergehen muss ist fast zwingend. Dieses Phänomen ist aber nicht nur ein tatsächlich individuelles sondern überträgt sich auch auf ganzes Systeme, wie z.B. auf die Medien, wo verschieden Anstalten auch von "individuellen" Profilen sprechen, wenn es um Provokation geht um dies schließlich unter dem Kennwort "Marke" publik zu machen, wie z.B. das aktuelle Beispiel MTV zeigt, das treffenderweise über sich selber sagt: "Wir sind MTV. Wir polarisieren gerne, wir provozieren gerne, wir kratzen auch gerne mal an Tabus. Das sind Kernwerte unserer Marke." Ja, das ist modern und lässt sich in individualistisch-orientierten Gesellschaften auf zahlreiche Einzelpersonen sinngemäß übertragen. Da die freie Marktwirtschaft ebenso ein auf Individualismus basierte politisch-ökonomische Ideologie ist, die vom kapitalistischem Konkurrenzkampf beherrscht wird, geht es in jedem Versuch einer besonderen, aufmerksamkeitserregenden Individualität, und nur damit ist es möglich, ums schlichte überleben. Unter diesem Gesichtspunkt kann die Annahme verständlich werden, dass das Kinderbekommen als blockierend empfunden wird, besonders aber auf dem Hintergrund einer ständigen Propaganda gegen das Kind und für die Freiheit des (weiblichen) Individuums, für die Freiheit unabhängig leben zu dürfen, für die Freiheit, selbst entscheiden zu dürfen, für die Freiheit alles tun zu können, wann immer man es tun will. Hier zeigt sich ein weiter Punkt, nämlich eine ins unermäßlich gesteigerte Freiheitsideologie, der Versuch eine Freiheit zu erreichen, die gar nicht erreicht werden kann, der sich zu untersuchen lohnt. Diese, also der Versuch zur völligen, zur autonomen, ja zur freien Freiheit und der Wille immer alles tun zu können was man will, dieser pure Egoismus, der gewisserweise ein Wille zur Macht ist (der wiederum die Freiheit Anderer einschränken muss), gehen Hand in Hand. Doch der Mensch ist nicht "zur Freiheit verdammt" (Satre). Man sieht, wir stoßen hier in tiefe Wunden einer modernen, aufklärerisch geprägten Gesellschaft, deren Untersuchung ich jetzt aber nicht ausführen möchte, da sie sich nahezu ins Unabsehbare erstrecken würde.

Zurück also zum eigentlichen Ausgangspunkt: Der Akt der Fortpflanzung, das zeugen von Kindern also ist mit der zunehmenden Modernisierung tabuisiert worden, da er im Konflikt mit dem übersteigerten bzw. fehlgeleiteten Freiheitsanspruch, also mit dem eigenen Egoismus im Konflikt steht. (Ich will aber übrigens keineswegs sagen, dass Frauen, welche die ihnen gegebene Freiheit in Anspruch nehmen, keine Kinder zu bekommen, generell egoistisch handeln oder gar schlechtere Menschen sind.) Dementsprechend wurden Hilfsmittel erfunden, um den Endzweck der Fortpflanzung zu verhindern, da man auf den Akt selber nicht verzichten wollte. Eine Verschiebung der Werte hat stattgefunden; nicht das Kinder zeugen ist angesehen, wie noch früher, wo man auf die Vergrößerung und damit Sicherung des Bestehens der Familie stolz war, sondern der bloße Akt selbst wird erhöht oder vielmehr der Lustgewinn der daraus resultiert. Eine bisher unbekannte Trennung von Fortpflanzung und Sexualität, die im Grunde zutiefst zusammengehören, hat seither ihren Lauf genommen. Das Kind, der Mensch, soll zukünftig, ja gegenwärtig schon etwas geplantes sein, das unter der Kontrolle der Vernunft steht, womit das Kind ein bloßes Produkt wird und die Sexualität etwas Austauschbares, wie schließlich der Mann bzw. die Frau selbst.

Noch einmal kurz zur Freiheit: "Ihr seid zur Freiheit berufen, Brüder. Nur nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch, sondern dient einander durch die Liebe." (5,13) heißt es im Brief an die Galater und nimmt wohl eindeutig Bezug auf unserer vorrangegangene Thematik. Die Freiheit scheint also dann eingeschränkt, wenn sie zum Bösen missbraucht wird. Sicher sind wir auch frei darin Böses tun zu können, aber dieses tun trennt uns wieder ein Stück von der Freiheit Gottes, der selbst vollkommen frei ist. Das ist einsichtig, denn Gott ist ganz frei in seinem tun und wer in Christus ist, ist auch in seiner Freiheit. Deshalb werden wir auch gemahnt: "Zur Freiheit hat Christus und befreit. Bleibt daher fest und lasst euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auferlegen!" (5,1). Der Wille, der Hunger nach Freiheit ist dem Menschen eingesenkt, wie wir oben festgestellt haben. Die Freiheit ist aber nicht von der Wahrheit zu trennen. "Wahrheit und Freiheit verbinden sich miteinander oder sie gehen gemeinsam elend zugrunde." (Fides et Ratio, Nr. 90). Die Freiheit ist nicht einfach die Fähigkeit, gleichgültige oder austauschbare Entscheidungen zu treffen. Sie ist auf Fülle ausgerichtet, ein erfülltes Leben, das die Person mit dem Ausüben ihrer Freiheit, aber in "richtiger Weise" (Recta Ratio) erobern muss. Die Freiheit findet ihren Sinn und folglich ihre Wahrheit, indem sie sich selbst, in Übereinstimmung mit der Natur der menschlichen Person, auf ihr eigenes Ziel ausrichtet. Folglich ist die Freiheit untrennbar an die Wahrheit des nach dem Bilde Gottes geschaffenen Menschen gebunden und besteht vor allem in der Liebe zu Gott und dem Nächsten (vgl. Fides et Ratio).

Diese Liebe zu Gott und dem Nächsten hat die heilige Gianna Beretta Molla ganz gelebt. In dem sie sagte "Rettet das Kind!", gab sich ganz für den Nächsten, für ihr Kind hin. Und als sie sprach "Jesus, ich liebe dich!", brachte sie mit einfachsten Worten, aber vollkommen die Liebe zu ihrem Gott zum Ausdruck. Darin kann die heilige Gianna Beretta Molla uns ein Vorbild sein.