Donnerstag, 3. August 2006

Immortalitas III – Die Wiederkehr der Religion oder die Sehnsucht nach dem Glück

Sehnsucht ist jenes zentrale Wort, mit dem moderne Anthropologie das Rätsel des Menschen zu verstehen sucht. Der französische Philosoph Jacques Lacan fasst den Menschen mit dem einzigen Wort „désir“, pure und maßlose Sehnsucht, durch Raum und Zeit nicht zu begrenzen, alle Bereich des Lebens durchdringend: Liebe, Arbeit und Amüsement. Allerdings fügt er gleichsam korrigierend bei: Der Mensch ist immer auch zugleich „manque“: Mangel, Entbehrung. Eben darunter leiden wir denn auch: Dass die Rechnungen immer offen bleiben; dass wir stets nach mehr aus sind als stattfindet. Es ist das Leiden an der Endlichkeit, mit der sich auszusöhnen nach Erikson eine der höchsten Leistungen in der letzten Entwicklungsstufe des Menschen ist.

Wie damit leben? Es gehört zur Lebenskunst in allen Kulturen, eben mit dieser maßlosen Sehnsucht des menschlichen Herzens leben zu lernen. Menschen haben das im Lauf der Zeit auf sehr unterschiedlichen Wegen versucht: religiös, atheistisch, pragmatisch.

Der religiöse Weg: Die alten Kulturen betraten dazu den Weg der Religion. Diese erinnert den Menschen daran, wer er im Grund ist: aus einem göttlichen Ursprung geboren, von dessen Art (Apg. 17,28), also geprägt von maßloser Sehnsucht, aus dem Ursprung zu leben, wie dieser zu werden und in diesen heimzukehren. Aus dem Ursprung, dem Anfang aber lebt nur, wer wie der Ursprung selbst lautere Liebe wird: was ihn von Angst und Einsamkeit befreit.

Der atheistische Weg: Unsere moderne Kultur aber hat sich von der Religion und ihren alten Erinnerungen getrennt. Es ist jetzt das Zeitalters Nietzsches, in dem Gott tot ist. Der Mensch ist jetzt, da er Gott für tot hält, sich selbst ausgeliefert. Der atheistische Philosoph Henri Lefebvre, gibt der maßlosen Sehnsucht einen gottfreien Sinn. Er verweist auf Momente, die in unserem Leben stattfinden, die wir Feste nennen sollen. Dazu zählt er die Liebe, gute Arbeit, Erkennen, das Spiel. In diesen Momenten erfüllt sich gleichsam die Sehnsucht. Denn sie ragen aus Raum und Zeit heraus. Wenn Du zum Augenblicke sagst „Verweile doch, du bist so schön“, oder wenn wir mit den Männern auf dem Berg der Verklärung Jesu sagen möchte: „Hier lass uns drei Hütten bauen...“, dann ereignen sich solche Momente. Allerdings meint Lefebvre, dass die Momente scheitern. Die Zeit der „Verklärung“ geht zuende, der Mensch findet sich ernüchtert in den engen Grenzen von Raum und Zeit wieder. Besteht der Sinn der maßlosen Sehnsucht also nur darin, dass es ins alltägliche Leben eingestreut solche Momente gibt – und das eher selten? Der Schriftsteller Ernest Hemmingway lässt in seinem Roman „Wem die Stunde schlägt“ die weise gewordene Alte dem Soldaten, der ihre Tochter liebt, sagen: „Nur dreimal im Leben wackelt die Erde...“ Für die Lebensführung rät Lefebvre, sich um einen versöhnten Alltag zu kümmern und einen zerstörten Alltag zu vermeiden. Der angstbesetzt-zerstörte Alltag lässt Feste nicht auf-, sondern umkommen. In einem versöhnten angstarmen Alltag hingegen können uns neuerlich Feste zufallen, an die wir uns erinnern und die wir herbeisehnen. Es ist die Sehnsucht nach den Momenten, den Festen, die uns lebendig erhält. Die österreichische Dichterin Marie von Ebner-Eschenbach dichtet in diese Richtung, wenn sie schreibt: Nicht jene sind zu bedauern, deren Träume nicht in Erfüllung gehen, sondern jene, die keine mehr haben.

Der pragmatische Weg: Die Mehrzahl der Zeitgenossen ist aber weder religiös noch atheistisch. Sie sind pragmatische Glückssucher: 85% der Zeitgenossen verfolgen das Ziel zu versuchen, das Beste aus dem Leben herauszuholen Die Kraft der Sehnsucht ist in ihnen (noch) nicht zerstört. Da aber die pragmatischen Zeitgenossen religiös analphabetisch sind, steht ihnen die religiöse Lebenskunst nicht zur Verfügung. Der Verlust der Religion hat auch dazu geführt, dass Sie nur noch mir der irdischen Lebenszeit rechnen. Ihr Leben ist ihnen gleichsam „die letzte Gelegenheit“ (Marianne Gronemeyer). Da aber nötigt sie das Kunststück zu vollbringen, die maßlose Sehnsucht in mäßiger Zeit zur Erfüllung zu bringen, den Himmel auf Erden zu erzwingen. Sie versuchen deshalb, in Liebe, Arbeit und Amüsement optimal leidfreies Glück zu erlangen. Das führt aber dazu, immer rascher und hastiger zu leben. Solches Leben wird angestrengt, anfordernd und überfordernd. Die Angst taucht auf, „zu kurz zu kommen“, was uns wiederum voneinander entsolidarisiert. Vereinsamung ist der Preis. Und aus der tiefsitzenden Angst um uns selbst fangen die Zeitgenossen an, den anderen als Lebenskonkurrenten zu sehen. Daraus ergibt sich eine Kultur der Abwertung des anderen, die dauernd verurteilt, richtet und hinrichtet statt zu ermutigen, aufzubauen und zu unterstützen (Henri Nouwen).

(Quelle: Prof. Dr. Paul M. Zulehner: Megatrend Religion - Kehrt die Religion wieder?)

2 Kommentare:

Diego hat gesagt…

Ein interessanter Aspekt bei diesem Thema ist, dass im biblischen Denken das Thema einer Auferstehung oder eines Lebens nach dem Tod in den Frühzeiten des Volkes Israel noch weitgehend fehlt (es genügt dazu ein kurzer Streifzug durch die Psalmen: z.B. Ps 39, Ps.88, ps 115 u.a.)und sich erst rel. spät und zaghaft entwickelt.
Auch im neuzeitlichen orthodoxen Judentum ist die Frage der schatologischen Perspektive, wie wir als Christen das nennen würden, nicht eindeutig geklärt und es gibt unter den religiösen Juden sehr wohl bis heute beide Auffassungen nebeneinander und sie hat auch gar nichts mit der Erwartung des messian. Zeitalters zu tun.
D.h. Theismus ist nicht deckungsgleich mit der Perspektive auf eine Zukunft nach dem irdischen Tod.
Ich halte das für einen wichtigen Punkt, denn er zeigt, dass ein persönlicher Glaube an einen in der Welt und Geschichte handelnden Gott per se Sinn stiftet in diesem Leben auch ohne persönliche Gewissheit einer über die ird. Kontingenz hinausreichende Perspektive.
Und doch eröffnet sich im Ereignis des Lebens des Todes und der Auferstehung Jesu eine völlig neue Perspektive auch für unser persönliches und gesellschaftliches Leben und sprengt daher auch die dich sehr starre gesetzesorientierte Gottesbeziehung des ersten Bundes. Erst im "Christusereignis" wird dem einzelnen Menschen jene Würde der Gotteskindschaft eröffnet, durch die er unverwechselbar und in seiner Würde unantastbar wird. In diesem Sinn fängt mit dem persönlichen Glauben an Jesus Christus ( immer innerhalb des Volkes Gottes, d.h. der Kirche) das ewige Leben, das Leben in Fülle schon hier und jetzt an und bleibt vom Tod unberührt.

Anonym hat gesagt…

Au weia Johnnylein,wenn ich dein Modernistengeschmiere lese, ist mir, als ob ich gerade die Modernistenenzyklika Papst Pius X "Pascendi" lese. Da wird naemlich genau dein Gerotze als die grosse Modernistenhaeresie beschrieben.