Freitag, 14. April 2006

"Seht das Kreuz, an dem der Herr gehangen, das Heil der Welt."

Jesus schrie noch einmal laut auf. Dann hauchte er den Geist aus.
(Mt. 27,50)

BETRACHTUNG
der zwölften Station des Kreuzwegs im Kolosseum 2006
von
SE Msgr. Angelo Comastri

Der Mensch hat törichterweise gedacht: Gott ist tot!
Wenn aber Gott stirbt, wer gibt uns dann noch das Leben?
Wenn Gott stirbt, was ist dann das Leben?

Das Leben ist Liebe!

Das Kreuz ist also nicht der Tod Gottes,
sondern der Moment, in dem die zerbrechliche Schale des Menschseins,
das Gott angenommen hatte, zerspringt
und die Flut der Liebe hervorströmt,
welche die Menschheit erneuert.

Aus dem Kreuz entspringt das neue Leben des Saulus,
aus dem Kreuz entspringt die Bekehrung des Augustinus,
aus dem Kreuz entspringt die glückliche Armut des Franz von Assisi,
aus dem Kreuz entspringt die strahlende Güte des Vinzenz von Paul;
aus dem Kreuz entspringt der Heldenmut des Maximilian Kolbe,
aus dem Kreuz entspringt die wunderbare Nächstenliebe der Mutter Theresa von Kalkutta,
aus dem Kreuz entspringt der Mut Johannes’ Pauls II.,
aus dem Kreuz entspringt die Revolution der Liebe:
Darum ist das Kreuz nicht der Tod Gottes,
sondern es ist der Ursprung seiner Liebe in der Welt.

Gepriesen sei das Kreuz Christi!


Ich bin der Mann, der Leid erlebt hat / durch die Rute seines Grimms.
Er hat mich getrieben und gedrängt / in Finsternis, nicht ins Licht.
Täglich von neuem kehrt er die Hand / nur gegen mich.
Er zehrte aus mein Fleisch und meine Haut, / zerbrach meine Glieder,
umbaute und umschloss mich / mit Gift und Erschöpfung.
Im Finstern ließ er mich wohnen / wie längst Verstorbene.
Er hat mich ummauert, ich kann nicht entrinnen. Er hat mich in schwere Fesseln gelegt.
Wenn ich auch schrie und flehte, / er blieb stumm bei meinem Gebet.
Mit Quadern hat er mir den Weg verriegelt, / meine Pfade irregeleitet.
Ein lauernder Bär war er mir, / ein Löwe im Versteck.
Er hat mich vom Weg vertrieben, / mich zerfleischt und zerrissen.
Er spannte den Bogen und stellte mich hin / als Ziel für den Pfeil.
In die Nieren ließ er mir dringen / die Geschosse seines Köchers.
Ein Gelächter war ich all meinem Volk, / ihr Spottlied den ganzen Tag.
Er speiste mich mit bitterer Kost / und tränkte mich mit Wermut.
Meine Zähne ließ er auf Kiesel beißen, / er drückte mich in den Staub.
Du hast mich aus dem Frieden hinausgestoßen; / ich habe vergessen, was Glück ist.
Ich sprach: Dahin ist mein Glanz / und mein Vertrauen auf den Herrn.
An meine Not und Unrast denken / ist Wermut und Gift.
Immer denkt meine Seele daran / und ist betrübt in mir.
Das will ich mir zu Herzen nehmen, / darauf darf ich harren:
Die Huld des Herrn ist nicht erschöpft, / sein Erbarmen ist nicht zu Ende.
Neu ist es an jedem Morgen; / groß ist deine Treue.
Mein Anteil ist der Herr, sagt meine Seele, / darum harre ich auf ihn.
Gut ist der Herr zu dem, der auf ihn hofft, / zur Seele, die ihn sucht.
Gut ist es, schweigend zu harren / auf die Hilfe des Herrn.
Gut ist es für den Mann, / ein Joch zu tragen in der Jugend.
Er sitze einsam und schweige, / wenn der Herr es ihm auflegt.
Er beuge in den Staub seinen Mund; / vielleicht ist noch Hoffnung.
Er biete die Wange dem, der ihn schlägt, / und lasse sich sättigen mit Schmach.
Denn nicht für immer / verwirft der Herr.
Hat er betrübt, erbarmt er sich auch wieder / nach seiner großen Huld.
Denn nicht freudigen Herzens / plagt und betrübt er die Menschen.
Dass man mit Füßen tritt / alle Gefangenen des Landes,
dass man das Recht des Mannes beugt / vor dem Antlitz des Höchsten,
dass man im Rechtsstreit den Menschen bedrückt, / sollte der Herr das nicht sehen?
Wer hat gesprochen und es geschah? / Hat nicht der Herr es geboten?
Geht nicht hervor aus des Höchsten Mund / das Gute wie auch das Böse?
Wie dürfte denn ein Lebender klagen, / ein Mann über die Folgen seiner Sünden?
Prüfen wir unsre Wege, erforschen wir sie / und kehren wir um zum Herrn.
Erheben wir Herz und Hand / zu Gott im Himmel.
Wir haben gesündigt und getrotzt; / du aber hast nicht vergeben.
Du hast dich in Zorn gehüllt und uns verfolgt, / getötet und nicht geschont.
Du hast dich in Wolken gehüllt, / kein Gebet kann sie durchstoßen.
Zu Unrat und Auswurf hast du uns gemacht / inmitten der Völker.
Ihren Mund rissen gegen uns auf / all unsre Feinde.
Grauen und Grube wurde uns zuteil, / Verwüstung und Verderben.
Tränenströme vergießt mein Auge / über den Zusammenbruch der Tochter, meines Volkes.
Mein Auge ergießt sich und ruht nicht; / es hört nicht auf,
bis der Herr vom Himmel her / sieht und schaut.
Mein Auge macht mich elend / vor lauter Weinen in meiner Stadt.
Wie auf einen Vogel machten sie Jagd auf mich, / die ohne Grund meine Feinde sind.
Sie stürzten in die Grube mein Leben / und warfen Steine auf mich.
Das Wasser ging mir über den Kopf; / ich sagte: Ich bin verloren.
Da rief ich deinen Namen, Herr, / tief unten aus der Grube.
Du hörst meine Stimme. / Verschließ nicht dein Ohr / vor meinem Seufzen, meinem Schreien!
Du warst nahe am Tag, da ich dich rief; / du sagtest: Fürchte dich nicht!
Du, Herr, hast meine Sache geführt, / hast mein Leben erlöst.
Du, Herr, hast meine Bedrückung gesehen, / hast mir Recht verschafft.
Du hast gesehen ihre ganze Rachgier, / all ihr Planen gegen mich.
Du hast ihr Schmähen gehört, o Herr, / all ihr Planen gegen mich.
Das Denken und Reden meiner Gegner / ist gegen mich den ganzen Tag.
Blick auf ihr Sitzen und Stehen! / Ein Spottlied bin ich für sie.
Du wirst ihnen vergelten, Herr, / nach dem Tun ihrer Hände.
Du wirst ihren Sinn verblenden. / Dein Fluch über sie!
Du wirst sie im Zorn verfolgen und vernichten / unter deinem Himmel, o Herr.

Klagelieder, Kapitel 3

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