Freitag, 28. April 2006

Der Wille zur Macht - ein Wille zur absoluten (individuellen, kinderlosen) Freiheit?

Eine Betrachtung zum Gedenktag der heiligen Gianna Beretta Molla

"Der Herr aber ist der Geist; und wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit." (2Kor 3, 17)

Die heilige Gianna Beretta Molla ist ein einzigartiges Vorbild in unserer Zeit, in der unaufhörlich über christliche Werte, Feminismus und die Rolle der Frau, in einer Zeit, in der über das Für und Wider von Abtreibungen diskutiert wird und man sich fragt, wie erstrebenswert es heute wirklich noch ist eine Familie zu gründen, wie sehr Kinder und das aufopfern für diese dem eigenen Karrieredenken, dem eigenen Selbst vorzuziehen sind? Sicher: "Keine Frau", stellt Ulrich Greiner in einem ZEIT-Artikel mit Bezug auf ein Essay von Iris Radisch fest, "wird ihre Entscheidung für oder gegen ein Kind von der Lage der Rentenversicherung und vom Blick auf die Alterspyramide abhängig machen. Und ich kann gut verstehen, dass sich die Kollegin Radisch über die Bigotterie empört, mit der eine scheinerregte Öffentlichkeit das Problem des Kindermangels einfach auf die jungen Frauen ablädt, während es doch in Wahrheit alle angeht. Nun hat aber Iris Radisch die eigentlich Schuldigen ausgemacht, nämlich die Männer." Im weiteren verteidigt Ulrich Greiner "die" Männer und weist die Schuld von ihnen, geht aber nicht weiter auf das Problem des Kindermangels selber ein, das m.E. vielmehr darin liegt, dass das Kind nicht mehr jenen positiven Stellenwert in der Menschheit hat, wie es lange Zeit der Fall war. Während sie heute als Bedrohung der Individualisierung, die unter dem Deckmantel des trendigen Begriffs der Selbstfindung daherkommt, gesehen werden, erkannte man sie die ganze Menschheitsgeschichte hindurch, bis vor einhundert Jahren als Segen. Kinder, die neuen Menschen, werden heute als Gefährdung der eigenen Zukunft und des Lebensraums abgelehnt, womit die Individualisierung sich als zutiefst verwurzelter Egoismus, wenn nicht sogar Narßismus zu erkennen gibt. Der heutige Egoismus zeigt sich eben vor allem in einem exzessiven Ausleben einer Persönlichkeit, dass heißt das sichtbare Nachaussenkehren einer scheinbaren Individualität. Das aber die Individualität in Wahrheit eine Lüge und zugleich aber eine uralte Realität ist und damit die Individualisierung keine Revolution des Indivuums, sondern eher ein sich lächerlich machen ist wird nicht erkannt. Denn in Wahrheit drängt doch das "Individuum" in die Masse und jedes "anders-sein-wollen" muss daran scheitern, das ein völliges Anders-Sein niemals erreicht werden kann. Das gleichzeitige hineindrängen und abheben wollen von einer uniformierten Individualmasse führt schließlich eben zu jenem niemals endenden „Selbstfindungs- oder Selbsterkennungs-Trend“, der heute herrscht, da man doch nie sein ganz anderes Selbst finden kann. Ein nicht unwichtiger Grund, weshalb die Menschen scheinbar so wenig über sich selbst wissen ist, und das ist vielleicht ein Versäumnis der Aufklärung, die den Menschen stets nur sagte, sie seien „vernunftbegabte Individuen“, aber nicht was sie mit dieser Formel anzufangen haben, das ihnen die meisten bloß sagen wie sie sein sollen und nicht wie sie sind. Dies übernimmt heute nun die (Werbe-)Industrie, die viel weniger sagt, wie wir sein sollen, wie weithin angenommen wird, sondern eher, wie wir sind: Wir sind zu dick, wir sind zu alt, wir fahren ein zu schlechtes Auto, wir riechen zu schlecht etc., woraufhin uns vorgegaukelt wird, dass es uns mit bestimmten Produkten viel besser geht, woraus folgt, dass die Identität eigentlich durch Besitz beschrieben wird und den „individuellen Charakter“ ausdrückt. Die Frage nach dem Selbst ist also oft vielmehr eine Frage nach dem Besitz: „Was werde ich haben?“. Folge des gesamten Individualisierungsprozesses ist eine ständige Neuinszenierung des Einzelnen und seiner Persönlichkeit mit seinem Besitz, zum Zwecke der Abhebung von der Masse, ohne das er jemals zum Ende findet.

Kann man dieses Verhalten aber sogleich pauschal ablehnen oder auch gar Verständnis dafür aufbringen? Das kann man durchaus, denn wenn man sich die globalisierte Welt vor Augen hält, die uneingeschränkten Konkurrenzkampf und damit Massenarbeitslosigkeit und Armut mit sich bringt, kann es verstehbar werden, warum ein Individualisierungsprozess einsetzt, der die Möglichkeit propagiert, sich von der Masse abheben zu können, eben zu dem Zweck anders zu sein und damit den "Marktwert" zu erhöhen. Das damit auch ein zunehmender Provokationismus einhergehen muss ist fast zwingend. Dieses Phänomen ist aber nicht nur ein tatsächlich individuelles sondern überträgt sich auch auf ganzes Systeme, wie z.B. auf die Medien, wo verschieden Anstalten auch von "individuellen" Profilen sprechen, wenn es um Provokation geht um dies schließlich unter dem Kennwort "Marke" publik zu machen, wie z.B. das aktuelle Beispiel MTV zeigt, das treffenderweise über sich selber sagt: "Wir sind MTV. Wir polarisieren gerne, wir provozieren gerne, wir kratzen auch gerne mal an Tabus. Das sind Kernwerte unserer Marke." Ja, das ist modern und lässt sich in individualistisch-orientierten Gesellschaften auf zahlreiche Einzelpersonen sinngemäß übertragen. Da die freie Marktwirtschaft ebenso ein auf Individualismus basierte politisch-ökonomische Ideologie ist, die vom kapitalistischem Konkurrenzkampf beherrscht wird, geht es in jedem Versuch einer besonderen, aufmerksamkeitserregenden Individualität, und nur damit ist es möglich, ums schlichte überleben. Unter diesem Gesichtspunkt kann die Annahme verständlich werden, dass das Kinderbekommen als blockierend empfunden wird, besonders aber auf dem Hintergrund einer ständigen Propaganda gegen das Kind und für die Freiheit des (weiblichen) Individuums, für die Freiheit unabhängig leben zu dürfen, für die Freiheit, selbst entscheiden zu dürfen, für die Freiheit alles tun zu können, wann immer man es tun will. Hier zeigt sich ein weiter Punkt, nämlich eine ins unermäßlich gesteigerte Freiheitsideologie, der Versuch eine Freiheit zu erreichen, die gar nicht erreicht werden kann, der sich zu untersuchen lohnt. Diese, also der Versuch zur völligen, zur autonomen, ja zur freien Freiheit und der Wille immer alles tun zu können was man will, dieser pure Egoismus, der gewisserweise ein Wille zur Macht ist (der wiederum die Freiheit Anderer einschränken muss), gehen Hand in Hand. Doch der Mensch ist nicht "zur Freiheit verdammt" (Satre). Man sieht, wir stoßen hier in tiefe Wunden einer modernen, aufklärerisch geprägten Gesellschaft, deren Untersuchung ich jetzt aber nicht ausführen möchte, da sie sich nahezu ins Unabsehbare erstrecken würde.

Zurück also zum eigentlichen Ausgangspunkt: Der Akt der Fortpflanzung, das zeugen von Kindern also ist mit der zunehmenden Modernisierung tabuisiert worden, da er im Konflikt mit dem übersteigerten bzw. fehlgeleiteten Freiheitsanspruch, also mit dem eigenen Egoismus im Konflikt steht. (Ich will aber übrigens keineswegs sagen, dass Frauen, welche die ihnen gegebene Freiheit in Anspruch nehmen, keine Kinder zu bekommen, generell egoistisch handeln oder gar schlechtere Menschen sind.) Dementsprechend wurden Hilfsmittel erfunden, um den Endzweck der Fortpflanzung zu verhindern, da man auf den Akt selber nicht verzichten wollte. Eine Verschiebung der Werte hat stattgefunden; nicht das Kinder zeugen ist angesehen, wie noch früher, wo man auf die Vergrößerung und damit Sicherung des Bestehens der Familie stolz war, sondern der bloße Akt selbst wird erhöht oder vielmehr der Lustgewinn der daraus resultiert. Eine bisher unbekannte Trennung von Fortpflanzung und Sexualität, die im Grunde zutiefst zusammengehören, hat seither ihren Lauf genommen. Das Kind, der Mensch, soll zukünftig, ja gegenwärtig schon etwas geplantes sein, das unter der Kontrolle der Vernunft steht, womit das Kind ein bloßes Produkt wird und die Sexualität etwas Austauschbares, wie schließlich der Mann bzw. die Frau selbst.

Noch einmal kurz zur Freiheit: "Ihr seid zur Freiheit berufen, Brüder. Nur nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch, sondern dient einander durch die Liebe." (5,13) heißt es im Brief an die Galater und nimmt wohl eindeutig Bezug auf unserer vorrangegangene Thematik. Die Freiheit scheint also dann eingeschränkt, wenn sie zum Bösen missbraucht wird. Sicher sind wir auch frei darin Böses tun zu können, aber dieses tun trennt uns wieder ein Stück von der Freiheit Gottes, der selbst vollkommen frei ist. Das ist einsichtig, denn Gott ist ganz frei in seinem tun und wer in Christus ist, ist auch in seiner Freiheit. Deshalb werden wir auch gemahnt: "Zur Freiheit hat Christus und befreit. Bleibt daher fest und lasst euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auferlegen!" (5,1). Der Wille, der Hunger nach Freiheit ist dem Menschen eingesenkt, wie wir oben festgestellt haben. Die Freiheit ist aber nicht von der Wahrheit zu trennen. "Wahrheit und Freiheit verbinden sich miteinander oder sie gehen gemeinsam elend zugrunde." (Fides et Ratio, Nr. 90). Die Freiheit ist nicht einfach die Fähigkeit, gleichgültige oder austauschbare Entscheidungen zu treffen. Sie ist auf Fülle ausgerichtet, ein erfülltes Leben, das die Person mit dem Ausüben ihrer Freiheit, aber in "richtiger Weise" (Recta Ratio) erobern muss. Die Freiheit findet ihren Sinn und folglich ihre Wahrheit, indem sie sich selbst, in Übereinstimmung mit der Natur der menschlichen Person, auf ihr eigenes Ziel ausrichtet. Folglich ist die Freiheit untrennbar an die Wahrheit des nach dem Bilde Gottes geschaffenen Menschen gebunden und besteht vor allem in der Liebe zu Gott und dem Nächsten (vgl. Fides et Ratio).

Diese Liebe zu Gott und dem Nächsten hat die heilige Gianna Beretta Molla ganz gelebt. In dem sie sagte "Rettet das Kind!", gab sich ganz für den Nächsten, für ihr Kind hin. Und als sie sprach "Jesus, ich liebe dich!", brachte sie mit einfachsten Worten, aber vollkommen die Liebe zu ihrem Gott zum Ausdruck. Darin kann die heilige Gianna Beretta Molla uns ein Vorbild sein.

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